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Der Hypnosearzt

Der Hypnosearzt

Titel: Der Hypnosearzt
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von einst und den Ruß in den Fugen. Hinter der Glasscheibe des Videoshops, in dem jetzt Regale mit Thrillern und Pornokassetten standen, warteten für Stefan wieder die kleinen Heimbrenner und Koksöfen des Ofensetzers Müller. Auch der hatte längst verkauft. Schräg gegenüber lagen ein Supermarkt, das Schreibwarengeschäft Granitzky, und ganz am Schluß kam die Nummer 24.
    Langsam ging Stefan, Schritt um Schritt. Er bewegte sich auf einer anderen Ebene, in einer anderen Welt, und die Bilder von einst überlagerten die Gegenwart.
    All diese Fensterscheiben mit den Wolkenstores aus Katalogen, die Autos mit dem aufpolierten Lack, es gab sie nicht. Nur das Rad dort oben auf der Halde war wirklich: das Rad im rostigen Eisengerüst, das einst die Förderkörbe hochgezogen hatte.
    Es drehte sich nicht. Es stand still.
    Hier, diese Straße entlang, war Stefan früher nach Hause gerannt. Hier hatte er mit blutenden Knien Fußball gespielt. Und hier waren auch die kleine Gartentür mit der Nummer 24 und dahinter die blaue Glaskugel und die zehn Quadratmeter Rasen. Doch die blaue Glaskugel funkelte und blitzte nicht, wie Stefan es gewohnt war. Und das war ein verdammt schlechtes Zeichen. Der Staub auf der Kugel war das Alarmsignal, das ihn blitzartig in die Gegenwart zurückholte.
    Wenn er Rosi besuchte, brachte Stefan stets zwei kleine rote Schokoladenpackungen mit. Immer die gleichen. Die eine enthielt Nougat-, die andere Kirschpralinen. Er hatte sie schon in der Hand gehalten. Jetzt steckte er sie in die Taschen des Regenmantels zurück.
    Er ging die letzten Schritte ganz langsam. Sein Arm brauchte alle Kraft, als er ihn hochnahm, um auf die Klingel zu drücken. Stefan klingelte zweimal kurz und einmal lang.
    Nichts.
    Er versuchte es wieder und ließ beim letzten Ton den Daumen auf dem Knopf.
    Aus dem Haus kam keine Antwort. Haus, Garten, die Straße, alles lag wie eingeschnürt in Stille.
    »Krank ist sie. Und wie, Steffen«, hatte Dagmar gesagt.
    Das konnte bedeuten, daß Rosi oben im Schlafzimmer im ersten Stock im Bett lag. Falls es so war – hatte sie dann nicht einmal mehr die Kraft, aufzustehen und zum Fenster zu gehen? Vielleicht hatte sie Tabletten genommen und schlief? Auch eine Möglichkeit … Es gab viele Möglichkeiten. Verdammt, aber wenn jetzt nicht bald etwas passiert, gehst du zur Rückseite zum Küchenbalkon. Wenn dort auch abgeschlossen ist, drückst du die Scheibe ein.
    Stefans Erregung schlug in Panik um.
    Diesmal drückte er nicht auf die Klingel, sondern schlug mit der Faust gegen das Holz der Tür. Es dauerte, und dann vernahm er, wie der Schlüssel sich drehte.
    Die Tür öffnete sich zunächst nur einen Spalt, blieb ein paar Herzschläge so und flog dann weit auf. Und da stand sie, stand im blauschwarzen wattierten Schlafmantel, doch das Gesicht zwischen dem hochgeschlagenen Kragen war nicht ihr Gesicht. Rosis Gesicht hatte rund zu sein, rund wie ein Apfel, wie ein etwas verschrumpelter Apfel vielleicht – aber dies? Stefan spürte Kälte im Nacken. Die Augen? Es waren Rosis Augen, wenngleich sie tief in bläulichen Höhlen lagen. Ihre Haut aber sah aus, als sei sie, perlmuttfarben und bräunlich glänzend, über einen nackten bloßen Schädel gespannt.
    »Steffen! Was machste bloß für 'n Krach?«
    »Wenn sich keiner meldet, Rosi …«
    Nichts anmerken lassen, gelassen bleiben, freundlich lächeln, klar doch, schließlich bist du Arzt! Aber wie schaffst du das jetzt? Ihr Haar, das sie immer zu kleinen lustigen und liebenswerten blau getönten Löckchen gedreht hatte, wo war es geblieben? Die Lippen zitterten, aber in dieser herzzerbrechenden Grimasse zeigte sich noch immer ein Lächeln, das alte Tante-Frosch-Lächeln.
    »Guck nicht so, Steffen!«
    Er brachte keinen Ton heraus. Der Adrenalinschub hatte seine Mundhöhle ausgetrocknet. Er stand vor Rosi, seine beiden dämlichen Pralinenschachteln wieder in der Hand, und hielt sie ihr hin. Sie sah ihn an, schüttelte den Kopf, zeigte dieses schreckliche Lächeln, das Freude bedeuten sollte.
    »O Steffen! Steck das Zeug weg. Die Dinger kann ich ja nicht mehr essen … Gib sie Daggy. Hat gedauert, was? Aber weißte, bis ich aus dem Bett komme und an der Tür bin …«
    Stefans Lächeln zerfiel endgültig.
    Rosi drehte sich um. Da war der Korridor mit den zwei Türen, die eine zum Wohnzimmer, die andere zur Küche. Rosi ging voraus, vorsichtig trippelnd und unendlich langsam, als bestehe der Fußboden aus Eierschalen. Bergmann folgte ihr.
    Sie
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