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Der Hof (German Edition)

Der Hof (German Edition)

Titel: Der Hof (German Edition)
Autoren: Simon Beckett
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Rucksack gegen die Wand lehne. Das dunkle Innere ist so kalt und feucht, als hätte es nie einen Sommer gegeben. Im Dämmerlicht kann ich das gedämpfte Funkeln der Weinflaschen im Holzregal ausmachen. Zu sauer, als dass sich irgendwer dafür interessiert hätte. Die Stelle aus Beton ist kleiner als in meiner Erinnerung, und den Riss hat immer noch niemand repariert. Ich hatte mir eigentlich vorgenommen, ein letztes Mal nach oben auf den Dachboden zu steigen. Aber jetzt scheint das keinen Sinn mehr zu ergeben. Stattdessen lasse ich meinen Rucksack in der Scheune zurück und folge dem Feldweg zum See.
    Der Boden ist matschig und aufgewühlt, und die kahlen Rebstöcke sind nur Reihen mit verschlungenen Drähten. Auch der Wald ist nicht mehr das dichte, grüne Blätterdach, an das ich mich erinnere, die Kastanien sind kahl, und unter ihren tropfenden Zweigen liegt ein Bett aus toten Blättern und stacheligen Schalen.
    Dieses Jahr gibt es keine Ernte.
    Als ich die Gabelung überquere, wo es zu den Sanglochonpferchen geht, verlangsame ich meine Schritte nicht. Ich verspüre nicht den Wunsch, dort noch einmal hinzugehen. Erst als ich an den Statuen vorbeikomme, bleibe ich stehen. Ich hätte gedacht, sie wären längst fort, aber hier stehen sie. Unverändert und offensichtlich von niemandem vermisst. Ich versuche mich daran zu erinnern, wie das war, als ich mich in jener Nacht vor Arnaud versteckte. Ich will etwas von der Unsicherheit und der Angst spüren, aber es geht nicht. Im grauen Tageslicht sind die Statuen einfach nur in Stein gehauene weltliche Objekte. Ich wende mich ab und gehe weiter zum See.
    Das Wasser ist grau und vom Wind aufgepeitscht. Am Ende des Felsvorsprungs ist der Boden von schweren Reifen aufgewühlt. Ich stehe unter den kahlen Zweigen der alten Kastanie und starre auf den vom Regen aufgerissenen See. Ich kann nicht mehr unter die Wasseroberfläche sehen, aber da ist auch nichts mehr. Louis’ Pick-up ist schon vor langer Zeit aus dem Wasser gezogen und weggebracht worden.
    Das Plastikpäckchen in meiner Hand fühlt sich schwer und kompakt an. Meine Gefühle bezüglich dieses Päckchens sind zwiespältig. Daran hat sich nichts geändert, seit ich es im Kofferraum gefunden habe. Ich hatte im Laufe des Sommers zahlreiche Möglichkeiten, es loszuwerden, doch ich habe es nie getan. Ich könnte mir einreden, dass es schlicht Feigheit war oder eine Art Lebensversicherung, falls Lenny oder ein anderer von Jules’ Geschäftspartnern es zurückhaben wollte. Aber das ist nur die halbe Wahrheit. Es ist wie mit einem Stein, den man umdreht, weil man wissen will, was sich darunter verbirgt, schließlich bin ich hier gelandet, um mich dem wahren Grund dafür zu stellen, warum ich es die ganze Zeit behalten habe.
    Ich konnte mich nicht dazu bringen, es loszuwerden.
    Ich habe absolut keine Ahnung, was es wert ist, aber auf jeden Fall brächte es mehr Geld, als ich jemals in der Hand gehalten habe. Genug, um damit ein neues Leben zu beginnen. Und wegen Jules’ Tod und Lennys Gefängnisstrafe gibt es niemanden mehr, der es für sich beanspruchen könnte. Ich bin lange genug in London geblieben. Sie hätten mich finden können, wenn da noch jemand wäre. Ich wiege das Päckchen in der Hand und spüre all die Möglichkeiten, die unter dem knisternden Plastik auf mich warten. Dann hole ich aus und werfe es so weit in den See, wie ich kann.
    Es fliegt in hohem Bogen über den grauen Himmel, ehe es mit einem kleinen, unbedeutenden Platschen im Wasser landet.
    Ich ramme die Hände in meine Hosentaschen und beobachte die Wellen, die sich in alle Richtungen ausbreiten. Erst als nichts mehr zu sehen ist, wende ich mich ab. Chloe hat keine zweite Chance bekommen und Gretchen auch nicht. Ich werde meine nicht vergeuden. Ich folge meiner eigenen Spur durch den Wald. Nachdem ich aus der Scheune meinen Rucksack geholt habe, gehe ich zurück zum Haus. Ich habe getan, weshalb ich hergekommen bin. Aber es gibt noch etwas, das ich sehen will, ehe ich endgültig gehe.
    Der Küchengarten ist nicht wiederzuerkennen. Die Ziegen und Hühner sind verschwunden, und die ordentlichen Pflanzreihen sind entweder verdorrt oder wild gewuchert. Das kleine Blumenbeet ist inzwischen völlig verwildert, aber selbst so spät im Jahr gibt es noch einige bunte Blüten. Ich stehe davor, schaue auf das kleine Beet und denke an die Traurigkeit, die ich auf Mathildes Gesicht bemerkt habe, während sie dieses kleine Fleckchen Erde pflegte. Als würde sie
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