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Der Himmel kann noch warten

Der Himmel kann noch warten

Titel: Der Himmel kann noch warten
Autoren: Gideon Samson
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keinen Sinn.
    Mama gibt Renate drei Küsse. Und sie sagt Tschüss zu Papa. Ohne Küsse. Und ohne Händedruck. Einfach so »Tschüss«.
    Ich bin zu krank für Küsse und Händedrücken und Tschüss sagen. Ich könnte möglicherweise losweinen. Ganzlaut weinen. Und fordern, dass Papa bleibt. Und dass Renate weggeht. Aber das funktioniert alles nicht. Außerdem habe ich gerade auch keine Tränen übrig.
    »Liebes«, sagt Renate zu mir. Ich darf Mama jetzt nicht anschauen. Die erträgt das, glaube ich, noch schlechter als ich.
    Renate umarmt mich ganz lieb. Zu lieb. So lieb, dass es noch nicht mal unangenehm ist. Sie weiß wirklich gut, wie man das macht. »Wir kommen sofort zu dir, wenn wir wieder zurück sind«, sagt sie.
    »Und dann erzählen wir dir in den schillerndsten Farben von Italien«, sagt Papa.
    Renate nimmt seine Hand. »Tschüss, liebe Belle.« Sie zieht Papa mit aus dem Zimmer. Wie einen kleinen Jungen. Bei der Toilette dreht Papa sich um und winkt noch einmal.
    »Weichei«, murmelt Mama.
    Dieses eine Wort reicht schon wieder für eine Portion Tränen. Ich habe also doch noch welche übrig.
    »Wie bekommt Monsieur das nur hin?«, sagt Mama. »Mit seinem Weltliteratur-Gelaber.«
    Ich schließe meine weinenden Augen. Wenn ich sie wieder öffne, ist die Operation vorbei und ich bin gesund.
    Eine Erinnerung.
    Ich war sieben. Oder sechs. Papa, Mama und ich saßen vor dem Zelt. Es war Sommer. Frankreich. Wir spielten ein Spiel mit Würfeln. Es war unheimlich albern. Wir mussten die ganze Zeit lachen.
    »Sechs!«, rief Papa, bevor er warf. »Sechs, sechs, sechs!« Er warf. Es war eine Zwei. Papa hatte verloren und Mama bekam einen Lachanfall. Ich bekam auch einen Lachanfall. Papa gab Mama zwei Ferienküsse und zwickte sie in den Hintern. Mama kriegte sich nicht mehr ein.
    Dann hob Papa mich hoch in die Luft. »Und jetzt kommst du auf den Grill!«, rief er.
    Ich fing an zu schreien. Und zu lachen. Ich machte mir fast in die Hose. »Nein, nicht!«, kreischte ich.
    »Oh doch«, sagte Papa. »Zur Strafe, weil ich verloren habe.«
    Er hielt mich mit einem Arm in einer Art Klammergriff und rannte über den Campingplatz. Mama rannte hinterher. Es dauerte lange, ehe sie Papa zu fassen bekam und mich befreien konnte. Uff. Endlich. Papa und Mama fingen an, sich zu küssen. Mitten auf dem Platz. Ich bekam einen roten Kopf deswegen. Trotzdem freute ich mich. Ich war mir sicher, die nettesten Eltern der Welt zu haben.
    Papa saß vor dem Grill. Wir aßen schwarzes Hähnchen. Und in Asche geröstete Kartoffeln. Ich verbrannte mir die Zunge. Papa und Mama gingen vor das Zelt, um zu rauchenund zu plaudern. Dann musste ich Zähne putzen und ins Bett. Mama las vor. Ich hörte die Grillen. Papa kam und schaute nach, ob ich schon in meinem Schlafsack lag. Er gab mir einen Gutenachtkuss und Mama einen nur so aus reiner Lust.
    »Ich will, dass das Leben immer so bleibt«, sagte ich.
    »Wie?«, fragte Mama.
    »Na, so«, sagte ich. »Mit Spielen und Hähnchen und Plaudern. Und Ferien und mit euch zusammen. Einfach so.«
    Papa strich mir durchs Haar. »Liebes Prinzesschen«, sagte er. »Soll ich dir mal was versprechen?«
    Ich schaute zu Papa. In seine Augen. Es waren die vertrauenswürdigsten Augen, die ich kannte.
    »Das Leben ändert sich«, sagte Papa, »aber ich verspreche dir, dass es nur noch schöner wird.«

KRANK
    Nein. Es funktioniert nicht. Als ich die Augen öffne, liegt die Operation immer noch vor mir. Und ich bin überhaupt noch nicht gesund. Ich bin krank.
    »Hast du ein wenig schlafen können?«, fragt Mama.
    Ich zucke mit den Schultern und Mama sagt: »So eine Operation kostet viel Energie.«
    Wie kommt sie nur darauf? Ich liege doch bloß. Die Ärzte müssen die ganze Arbeit tun.
    »Ich schlafe gleich sowieso«, sage ich. »Während der Operation.«
    »Sehr gut«, sagt Mama. Sie hört mir gar nicht richtig zu. Sie denkt an Robert de Koning ohne Zucker. Und an seine Renate.
    »Ma?«
    »Ja, Liebes?«
    »Du findest auch, dass Papa hätte bleiben müssen, nicht wahr?«
    »Ich möchte jetzt
nicht
darüber reden.«
    »Okay«, sage ich. »Ich eigentlich auch nicht.«
    Mama nimmt ein Buch von meinem Nachtschränkchen. »Vorlesen?«, fragt sie. Ich schüttele den Kopf.
    »Ma?«
    »Liebes?«
    »Darf ich Oma anrufen?«
    Mama nickt. Sie holt die Nummer aus ihrer Tasche.
    »Geh mal eine rauchen, Ma.«
    »Nein.«
    »Wieso
nein

    Mama sagt nichts.
    »Hast du wieder aufgehört?«
    »Ich weiß es nicht«, sagt Mama. »Ich denke
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