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Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt

Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt

Titel: Der Hexer - NR33 - Wer die Götter erzürnt
Autoren: Verschiedene
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gereist. Bei der Bahnfahrt nach London schließlich hatte sie ihre letzten Ersparnisse eingebüßt.
    Ihr war durchaus klar, daß solche Abenteuerlust eher dem männlichen Geschlecht vorbehalten war als einem Mädchen von kaum zwanzig Jahren. Sie hatte einfach auf Tante Janette gesetzt, die Schwester ihrer Mutter, die schon seit Jahren hier in London lebte, und darauf, daß sie sie wohl abweisen würde, wenn sie unvermittelt an ihre Tür klopfte.
    Ihren Eltern hatte sie gleich nach ihrer Ankunft ein Telegramm geschickt; die Antwort darauf stand noch aus. Veronique dachte mit recht gemischten Gefühlen daran, wie sie wohl ausfallen würde.
    Tante Janette (die im übrigen auch nicht gerade erbaut gewesen war von dieser Exkursion) hatte ihr tatsächlich helfen können; sie wußte von einem befreundeten Ehepaar, das schon seit Wochen nach einem vertrauenswürdigen Kindermädchen suchte. Dank ihrer Empfehlung hatte Veronique gleich am nächsten Tag die Stellung antreten können.
    Doch London – ungleich größer und hektischer als Paris – war fremd und neu für sie, und die Idee, nach dem Abendessen auf einen kleinen Spaziergang das Haus zu verlassen, erschien ihr im Nachhinein als ziemlich dumm und unüberlegt.
    Sie war durch die helle Sommernacht gestreift, den Kopf voll wehmütiger Gedanken. Auch wenn sie es sich nicht eingestehen wollte, so quälte sie doch jetzt schon das Heimweh. Und ehe sie sich versah, hatte Veronique die Orientierung verloren. Hier sahen alle Straßen irgendwie gleich aus, und die Straßenschilder verwirrten sie mehr, als daß sie ihr weiterhalfen. Und wie um das Mißgeschick noch zu verstärken, war auch der Vollmond hinter dunklen Wolken verschwunden und hatte sie des letzten helfenden Lichtes beraubt.
    Außerdem war es kühler geworden. Fröstelnd zog Veronique den leichten Schal enger um ihre Schultern.
    Plötzlich fielen ihr all die Greuelgeschichten wieder ein, die sie am hellichten Tage immer belächelt hatte: Geschichten von dunklen Gestalten, die von einsamen, verirrten Mädchen mehr verlangten als nur ihren Schmuck und den Inhalt ihrer Geldbörse. Geschichten von Jack, dem Ripper, der hinter finsteren Straßenecken lauerte, das lange, scharfe Messer in der Hand.
    Veronique versuchte die albernen Gedanken zu verdrängen, doch es gelang ihr nur zum Teil. Ein schwacher, düsterer Abglanz der Furcht nistete sich in ihrem Unterbewußtsein ein und wartete nur darauf, ihren Geist mit neuem Schrecken zu überschwemmen. Irgendwo tief in ihr verborgen flüsterte eine leise, boshafte Stimme von schwarzen Schatten, in denen sich etwas bewegte, von schleichenden Schritten, die ihr folgten.
    Langsam und ohne daß es ihr recht bewußt wurde wandelte sich die Angst zu Panik. Ihre Schritte wurden schneller, und das klackende Echo der Schuhe auf dem groben Straßenpflaster wurde von düsteren Häuserwänden und hohen, von Eisenranken gekrönten Mauern unheimlich verstärkt zurückgeworfen. Veronique achtete nicht mehr auf Wegweiser und die Richtung, in die sie ihre Schritte lenkte.
    Vorwärts, nur vorwärts. Lauf, kleine Veronique. Lauf, oder du bist verloren!
    Irgendwo in der Dunkelheit schlug eine Uhr – Big Ben! Mit bebenden Lippen zählte Veronique die dumpfen Glockenschläge: »... neun... zehn... elf.«
    Elf Uhr! Die Michaelsons würden sich gewiß schon die größten Sorgen machen. Herr im Himmel, hätte sie doch nur nicht das Haus verlassen!
    Keine Menschenseele war ihr bisher begegnet, und die Häuser, an denen sie vorbeilief, sahen immer verfallener und schäbiger aus. Dies war ohne Zweifel einer der heruntergekommenen Vororte Londons, in denen wilde Banden...
    Nein! Sie durfte das nicht denken!
    Und trotzdem ist es so, kleine Veronique, wisperte die Stimme in ihr. Sie beobachten dich schon lange – da vorn, zwischen den Akazien, und dort, hinter der eingestürzten Mauer...
    »Ob ich einfach an eine der Türen klopfe?« Sie begann, zu sich selbst zu sprechen, nur, um das drückende Gefühl der Einsamkeit zu vertreiben, das sich wie ein schwarzes Tuch über ihre Seele gelegt hatte und sich langsam zusammenzuziehen begann. »Aber um diese Zeit, und noch dazu in solcher Gegend? Wenn mir nun ein betrunkener Kerl öffnet...? Nein. Nein, ich muß zurückfinden, irgendwie. Wenn ich doch nur einen Gendarm treffen würde... Aber selbst die scheinen diese Gegend zu meiden. Bestimmt sind hier –
    Erschrocken hielt sie inne, doch ihre Gedanken machten sich wieder selbständig:
    »... brutale
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