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Der Herzberuehrer

Der Herzberuehrer

Titel: Der Herzberuehrer
Autoren: Jobst Mahrenholz
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die beiden an, brachte ihnen Kniffs und solides Handwerk bei, so dass sie bald nicht mehr nur zum Schälen, Schleppen, Schneiden und Säubern eingesetzt wurden, sondern auch raffiniertere Tätigkeiten zugewiesen bekamen.
    Vom richtigen Kochen waren die beiden noch weit entfernt, aber ich hatte nicht den geringsten Zweifel: Chip würde dafür Sorgen, dass es eines Tages dazu kam.
    Wir hatten Flussbarsche auf der Karte, Lammkarree und Rehkeule. Die Pasta wurde an diesem Abend mit Hasenfleisch gefüllt oder im selben geschwenkt. Als Suppe servierten wir Esskastanien-Espresso mit frisch gehobelten Trüffeln.
    Der Fisch wurde mit geröstetem Buchweizen auf einer Zitronen-Butter-Sauce kredenzt, das Lamm mit einer Bergkräuterkruste an Wirsinggemüse. Dazu selbstgebackenes Laugenbrot - va bene.
    Sandra und Orlando arbeiteten eher still und konzentriert vor sich hin, sowie einander zu. Es machte Freude, ihre geübten Hände zu beobachten, die Pastateig kneteten, Risotto rührten oder ihre Messer durch Fleisch und Gemüse führten. Chip hingegen war eher kommunikativ veranlagt. Sie sprach nicht nur mit uns, sondern auch mit den Dingen die sie umgaben, was zu Beginn für Verwirrung sorgte.
    «Du willst weg von hier...?«, rief sie beispielsweise entschlossen, was uns alle aufschrecken ließ. «...Keine Chance!« Und dann zerteilte sie eine Schalotte oder Rübe mit entschlossenem Schnitt. So halt.
    Dennoch zweifelten wir keinen Augenblick an der Ernsthaftigkeit ihres Tuns und ihre Ausflüge ins Reich der Phantasie - wo Zwiebeln mit kurzen Beinen ausgeklügelte Fluchtgedanken hegten oder Pilze von selbst ihre Hüte lüpften - verblassten mit zunehmendem Arbeitspensum ganz von selbst.
    Soweit die Küche.
    Im Service arbeiteten Abend für Abend drei Kellner. Davon war einer generell für die Vorbereitung der Getränke zuständig.
    Um deren Einstellung hatte ich mich seinerzeit selbst gekümmert. Meine Wahl fiel auf eine Hand voll Studenten, die zwar in Genova Kunst studierten, aber aus Kostengründen weiterhin in den Bergen, bei ihren Familien lebten. Mein Bruder Lorenzo hatte sie mir vermittelt, und ich war hochzufrieden mit ihnen.
    Es gab nicht diesen oberaufwendigen Rundum-Service bei uns. Ich liebte es eher zwanglos bis rustikal, etwas, das auch ungelernte Kellner rasch zustande brachten. Es garantierte außerdem, dass eine ganz bestimmte Kundschaft wegblieb - die 'Brot-Zangen'. So bezeichneten wir jene, die es ablehnten, Kellnern oder Küchenpersonal auf Augenhöhe zu begegnen. Es gab aber auch genügend Gäste, die gerade das suchten, was wir bieten konnten. Genauso hatte ich es mir immer gewünscht, und siehe da, es funktionierte!
    An diesem Abend arbeiteten Adalgiso, Beppo und Claudio, unser Stammteam. Wir nannten sie in der Küche unser 'ABC', was dann schon mal so klingen konnte:
    »Was macht eigentlich unser ABC gerade?«
    »Es dekantiert, steckt Kerzen auf und bügelt Servietten.«
    »Ah, prima. Welches ist heute für den Wein zuständig.«
    »Das B, wenn ich nicht irre.«
    »Dann soll es sicherheitshalber ein paar Flaschen Brunello aus dem Keller holen, das hat das A gestern vergessen.«
    »Geb´ ich so weiter...«
    Solcherlei wurde uns von ihnen nicht übel genommen. Sie fanden es, glaube ich, sogar ganz witzig.
    Gegen achtzehn Uhr waren dann schließlich die Tische fertig eingedeckt, die Leuchter bestückt und die Menü-Karten geschrieben. Eine Arbeit, die stets Orlando übernahm, einfach da er die schönste Handschrift von uns hatte.
    »Kalligrafie...«, weihte er uns in sein Geheimnis ein. »Ich durfte als Kind immer die Heiligenbildchen in der Kirche für die Kommunionsfeierlichkeiten beschriften.« Seine Augen glänzten entrückt, begleitet von sentimentalen Seufzern.
    Da sich auch zum Abend hin keine Wetterbesserung einstellte, ganz im Gegenteil, blieben drei der reservierten Tische unbesetzt. Viele unserer Gäste scheuten an solchen Tagen den Weg in die Berge. Verständlich, wenn man alternativ die Möglichkeit hatte, den Abend an der Küste zu verbringen, gänzlich trocken, Meerblick plus Sonnenuntergang inklusive.
    Der Regen rann in Bächen die Scheiben hinab. Die Beleuchtung der Außenterrasse spiegelte sich in kleinen, unruhigen Seenplatten wider, die sich wie immer bei solchen Wetterlagen gebildet hatten. Genau dies betrachtete ich versonnen, als mein Blick durch das alte Steinbogenfenster nach draußen in den Garten fiel.
    »Die Kräuterkruste wandert nicht von selbst auf‘s Lamm,
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