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Der hellste Stern am Himmel

Der hellste Stern am Himmel

Titel: Der hellste Stern am Himmel
Autoren: Marian Keyes
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sein. Sie guckt eine Sendung über Gartengestaltung, man kann ihrem Stirnrunzeln entnehmen, dass sie noch nie in ihrem Leben so viel dummes Zeug gehört hat. Winterharte Pflanzen? So etwas gibt es nicht, du dummer, dummer Mann! Alles muss sterben!
    Ich gleite an ihr vorbei in ein kleines, düsteres Schlafzimmer, dann in ein etwas größeres, ebenso düsteres Zimmer, wo ich zu meiner Überraschung einen großen, grauen Hund mit langen Ohren antreffe, der so groß und grau ist, dass ich ihn einen Moment lang für einen Esel halte. Er liegt in einer Ecke, den Kopf auf den Pfoten, und schmollt – dann spürt er meine Anwesenheit und ist sofort hellwach. Tieren macht man nichts vor. Sie haben andere Wellenlängen, und schließlich ist alles eine Frage der Wellenlänge.
    Vor Angst und Ehrfurcht erstarrt, richtet er seine großen Eselsohren auf und knurrt leise, dann beruhigt er sich wieder, der Arme. Bin ich Freund oder Feind? Er hat keinen Schimmer.
    Und wie heißt der Hund? Nun, seltsamerweise scheint sein Name »Grollo« zu sein. Aber das kann nicht stimmen, das ist doch kein Name. In der Wohnung steht zu viel rum, das ist das Problem, es macht die Schwingungen langsamer und verdirbt das Muster.

    Ich verlasse den Esel-Hund und sause wieder ins Wohnzimmer, wo ein Schreibtisch aus Mahagoni mit einem Rollverdeck steht. Er ist so groß und gewichtig wie ein ausgewachsener Elefant. Ein paar herumliegenden Briefen entnehme ich, dass die alte Frau Jemima heißt.
    Neben den Briefen steht ein silberner Bilderrahmen mit dem Foto eines jungen Mannes, und blitzartig weiß ich, dass er Fionn heißt. Das bedeutet »der Helle«. Wer ist er also? Hatte Jemima einen Verlobten, der sein Leben im Burenkrieg ließ? Oder einen, der 1918 bei der Grippeepidemie starb? Aber das Foto kann nicht aus dem Ersten Weltkrieg stammen. Die Männer in ihren stramm sitzenden Uniformen sehen immer so steif und geradeaus in die Kamera, dass man glauben könnte, man hätte ihnen ihr eigenes Gewehr hinten reingeschoben. Sie tragen unterschiedslos ein bürstenartiges Oberlippenbärtchen, und der erloschene, glasäugige Blick, mit dem sie den Betrachter anstarren, erweckt den Eindruck, dass sie gestorben und ausgestopft sind. Fionn hingegen sieht aus wie der Prinz in einem Märchenbuch. Es liegt an seinem Haar – das blond, lang und gewellt ist – und an dem kantigen Kiefer. Er trägt eine Lederjacke und verschossene Jeans und hockt in einem Blumenbeet, so scheint es, die Hand voller Erde, die er mir mit einem kessen, fast anzüglichen Lächeln entgegenstreckt, als hätte er noch viel mehr, das er einem entgegenstrecken könnte! Grundgütiger! Gerade hat er mir zugezwinkert! Ja, gezwinkert! Aus dem Foto! Und seinem Lächeln entsprang ein Silberstern! Ich kann es kaum fassen.
    »Ich spüre deine Gegenwart!«, brüllt Jemima plötzlich und jagt mir einen gehörigen Schrecken ein. Ich
hatte sie ganz vergessen, so vertieft war ich in meine Betrachtung von Fionn dem Prinzen und seinem Zwinkern und Funkeln.
    »Ich weiß, dass du hier bist«, sagt sie. »Du machst mir keine Angst!«
    Sie hat mich bemerkt. Dabei war ich gar nicht nah an ihr dran. Offenbar feinfühliger, als man denken würde.
    »Zeig dich«, befiehlt sie.
    Das tue ich, Madame, das tue ich bestimmt, aber noch nicht jetzt. Du musst dich noch gedulden. Anscheinend bin ich sowieso wieder auf dem Absprung und werde gezogen, nach unten gezerrt. Jetzt bin ich in der Wohnung im Erdgeschoss. Durch das Wohnzimmerfenster kann ich auf die Straße sehen. Ich spüre viel Liebe. Und noch etwas …
    Auf dem Sofa, im flackernden Licht des Fernsehers, liegt … na ja … liegen ein Mann und eine Frau, aber sie halten sich so eng umschlungen, dass ich einen Moment lang denke, sie sind eins, ein merkwürdiges, mythologisches, zweiköpfiges, dreibeiniges Ding – das hätte mir noch gefehlt. (Das vierte Bein ist da, es liegt nur unter den beiden.)
    Auf dem Fußboden stehen zwei Teller mit den Resten eines üppigen Mahls: Kartoffeln, Rinderbraten, Soße, Mohrrüben – kommt mir ein bisschen mächtig vor für Juni, aber was weiß ich schon.
    Jetzt erkenne ich die Frau – Maeve –, sie ist blond und rotwangig wie ein Engel auf einem Gemälde. Sie hat eine gesunde, rosige Frische, denn sie ist auf einer Farm aufgewachsen. Jetzt lebt sie zwar in Dublin, aber die süße reine Luft des Ländlichen haftet ihr noch an. Diese
Frau fürchtet sich nicht vor Schlamm. Auch nicht vor Kuheutern. Oder Hühnern, die Junge gebären.
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