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Der Hagestolz

Der Hagestolz

Titel: Der Hagestolz
Autoren: Adalbert Stifter
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da geblieben sei; namentlich da er nicht Zwek und Ursache des ganzen Verfahrens zu ermitteln im Stande war.
    »Ich werde dich doch nun bald fort lassen,« sagte der Oheim eines Tages nach dem Mittagstische, da eben ein prachtvolles Gewitter über die Grisel ging und den rauschenden Regen wie Diamantengeschoße in den See nieder sandte, daß er sich in kleinen Sprüngen regte und wallte. Sie waren aus der Ursache dieses Gewitters etwas länger bei dem Tische sizen geblieben.
    Victor antwortete auf die Rede gar nichts, sondern horchte, was ferner kommen würde.
    »Es ist zulezt doch alles vergeblich,« hob der Oheim wieder mit langsamer Stimme an, »es ist doch vergeblich - Jugend und Alter taugen nicht zusammen. Siehe, du bist gut genug, du bist fest und aufrichtig, und bist mehr, als dein Vater in diesen Jahren war. Ich habe dich die Zeit her beobachtet und man dürfte vielleicht auf dich bauen. Du hast einen Körper, den die natürliche Kraft stark und schön gemacht hat, und du übst gerne die Kraft, sei es, daß du unter den Felsen herum gehst, oder in der Luft wanderst, oder in dem Wasser schwimmst - - aber was hilft das Alles? Es ist für mich ein Gut, das weit, ja sehr weit jenseits aller Räume liegt. Mir sagte schon immer die heimliche Stimme: du wirst es nicht erreichen, daß sein Auge auf dich schaut, du wirst das Gut seines Herzens nicht erlangen, weil du es nicht gesäet und gepflanzt hast. Ich erkenne, daß es so ist. Die Jahre, die da zu nüzen gewesen wären, sind nun vorüber, sie neigen jenseits der Berge hinunter, und keine Gewalt kann sie auf die erste Seite herüber zerren, auf der nun schon die kalten Schatten sind. Darum gehe nur zu dem alten Weibe, von dem du kaum mehr einen Brief erwarten kannst - gehe hin und sei dort heiter und freudig.«
    Victor war im äußersten Maße betroffen. Der Greis saß gerade so, daß die Blize in sein Antliz leuchteten, und manchmal war es in dem dämmerigen Zimmer, als ob das Feuer durch die grauen Haare des Mannes flöße und ein rieselndes Licht über seine verwitterten Züge ginge. War dem Jünglinge früher das inhaltlose Schweigen und die todte Gleichgültigkeit an dem Manne öde und bekümmernd gewesen, so war er nun durch diese Aufregung um so ergriffener. Der Alte hatte seinen langen Körper in dem Lehnstuhle aufgerichtet, und er zeigte fast tiefe Bewegung. Eine Weile antwortete der Jüngling nichts auf die Rede des Oheims, die er mehr ahnte, als verstand. Dann aber sagte er: »Ihr habt von Briefen geredet, Oheim; ich bekenne aufrichtig, daß es mich schon sehr unruhig macht, daß ich auf die mehreren Briefe, die ich nach Hause sandte, noch immer keine Antwort habe, obwohl Christoph schon mehr als zwanzigmal, seit ich hier bin, in der Hul und in Attmaning draußen gewesen ist.«
    »Ich wußte es wohl,« antwortete der Oheim, »aber du kannst gar keine Antwort erhalten.«
    »Warum denn nicht?«
    »Weil ich es so eingerichtet, und mit ihnen verabredet habe, daß sie dir, so lange du hier bist, nicht schreiben. Sie sind im Uebrigen, wenn du bekümmert sein solltest, alle wohl und gesund.«
    »Das ist nicht gut, Oheim, daß ihr das gethan habt,« sagte Victor ergriffen, »die Worte, welche mir meine Ziehmutter in einem Briefe geschikt hätte, hätte ich sehr gerne empfangen.«
    »Siehst du, wie du das alte Weib liebst,« sagte der Oheim, »ich habe es immer gedacht!«
    »Wenn ihr jemanden liebtet, so würde euch wieder jemand lieben,« antwortete Victor.
    »Dich hätte ich geliebt,« schrie der Greis heraus, daß Victor fast erzitterte. Es war einige Augenblike Stille.
    »Und der alte Christoph liebt mich,« fuhr er fort, »und vielleicht auch die alte Magd.«
    »Was schweigst du denn?« sagte er nach einiger Zeit zu dem Jünglinge - »wie sieht es denn mit der Gegenliebe aus? nun so rede einmal.«
    Victor schwieg und wußte kein einziges Wort heraus zu bringen.
    »Siehst du,« sagte der Greis wieder, »ich habe es ja gewußt. Sei nur ruhig, es ist alles gut, es ist schon gut. Du willst fort, und ich werde dir ein Schiff geben, daß du fort kannst. - So lange wirst du doch warten, bis der Regen vorüber ist?«
    »So lange und noch länger, wenn ihr Ernstliches mit mir zu reden habt,« sagte der Jüngling, »aber das werdet ihr doch erkennen müssen, daß keine bloße bittere Willkühr einen Menschen binden könne. Es ist doch seltsam, wenn man das geringste Wort dafür wählen soll, daß ihr mich Anfangs auf dieser Insel gefangen hieltet, auf die ihr mich
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