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Der grüne Stern

Der grüne Stern

Titel: Der grüne Stern
Autoren: Lin Carter
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wenige das ›Eckankar‹ wirklich beherrscht, aber für sie hatte es auch nicht die übermächtige Motivation gegeben, die mich beseelte.
    Ich will den geneigten Leser nicht mit einer Beschreibung meiner Mühen langweilen, noch will ich von den Fehlschlägen und der Verzweiflung berichten, die mich zuweilen überkam. Die Aufgabe war langwierig und mühevoll, und wahrscheinlich ist es einfacher, die Muskeln des Körpers für olympische Höchstleistungen zu trainieren, als Geist und Seele und Verstand in dieser okkulten Wissenschaft auszubilden. Aber endlich kam der Tag, an dem ich mich für ein erstes Experiment bereit fühlte.
    Nachdem ich gefastet und bestimmte Regeln der eingeschränkten Lebensweise beachtet hatte, verständigte ich meine Haushälterin, daß ich unter keinen Umständen gestört sein wolle, dann schloß ich mich im Obergeschoß meines elterlichen Hauses ein, das mir als Privatquartier und Bibliothek diente.
    Der guten Frau war diese Art von Benehmen nicht neu. Mein Quartier war mit einer Kochgelegenheit und einem Kühlschrank ausgestattet, und in der Vergangenheit war es nicht selten vorgekommen, daß ich mich tagelang hinter verschlossenen Türen mit meinen Studien beschäftigt hatte. Ich machte ihr klar, daß sie mich aus keinem, sei es noch so wichtig erscheinenden Grund in meinen Übungen unterbrechen dürfe.
    Ich beruhigte meinen Geist mit der meditativen Rezitation einiger Mantras, und nachdem ich mich so von allen trivialen Gedanken befreit hatte, streckte ich mich auf einem weichen, bequemen Sofa aus und schloß die Augen. Ich stellte mir eine schwarze Kugel vor. Sie schwebte vor meinem inneren Auge, so deutlich sichtbar, als ob sie ein materieller Gegenstand wäre. Meine Konzentration auf diese dunkle Kugel war so intensiv, daß ich bald keine Geräusche von außen mehr wahrnahm. Dann begann ich mich willentlich in eine tiefe Trance zu versetzen. Das Bewußtsein meines eigenen Körpers schwand, und mit ihm alle körperlichen Gefühle und Eindrücke. Ich hörte nicht mehr meinen eigenen Pulsschlag, fühlte nicht einmal den Druck meines verkrüppelten Körpers auf den Samtbezug des Sofas. Meine ganze Aufmerksamkeit war nun nach innen gerichtet.
    Als nächstes stellte ich mir die schwarze Kugel nicht mehr als ein Objekt vor, sondern als eine Illusion, und sah sie plötzlich als schwarze, kreisrunde Öffnung eines Tunnels. Und dann stellte ich mir vor, daß ich durch diesen endlosen Tunnel schwebte, bis ich von völliger Dunkelheit verschlungen wurde.
    Tiefer und tiefer drang ich in den Tunnel ein, bis ich weit vor mir endlich einen winzigen Lichtschimmer gewahrte, der wie ein schwacher, verlorener Stern am Nachthimmel leuchtete. Ich glitt mit zunehmender Geschwindigkeit darauf zu, bis ich unvorstellbar schnell durch die Dunkelheit zu sausen schien.
    Ich tauchte aus der Finsternis in trübrotes Licht.
    Zunächst konnte ich nichts von meiner Umgebung erkennen. Ich schien in einem rechteckigen Kasten zu schweben, dessen Boden in tiefer Dunkelheit verschwamm, und dessen obere Bereiche von rötlichem Licht erhellt wurden.
    Dann erkannte ich mit einem prickelnden Schock der Überraschung, wo ich war. Ich war in demselben Raum, wo ich mich in Trance versetzt hatte – aber ich schwebte knapp unter der Zimmerdecke!
    Stunden waren vergangen, denn der frühe Nachmittag hatte der Stunde des Sonnenuntergangs Platz gemacht, und das letzte, waagrecht einfallende Licht schien rötlich durch die auf der Westseite gelegenen Fenster.
    Ich blickte von meiner Höhe hinab und sah mich selbst.
    Ich lag ausgestreckt auf dem Sofa, die Arme an meinen Seiten, das Gesicht wachsbleich und seltsam unvertraut. Mir fiel ein, daß ich mein Gesicht nie genauso gesehen hatte wie andere es sahen, sondern immer in einem Spiegel oder in einer anderen reflektierenden Oberfläche. Der Unterschied mochte geringfügig sein, doch schien er sich stärker als erwartet auszuwirken. Mein Gesicht war leer; leer und ausdruckslos.
    War dies so, weil ich mich im Zustand der Selbsthypnose befand und meine Gesichtsmuskeln völlig entspannt waren? Oder hing die seltsame Leere meiner Züge etwa mit der Tatsache zusammen, daß mein Körper jetzt – unbewohnt war?
    Ich wußte die Antwort nicht, und ich weiß sie heute noch nicht.
    Neugierig geworden, richtete ich meinen Blick auf mein schwebendes Ich und fand, daß ich für die Augen meines unstofflichen Selbst ein unsichtbarer Geist war. Und tatsächlich, als ich mich nun an diesen sonderbaren
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