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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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Suppe, die sie sich einbrocken, oft so ganz allein ausessen mit allerlei Leiden und Schmerzen, daß sich hieraus die Plötzlichkeit wohl erklären läßt, mit der ihre Instinkte zuweilen umschlagen. Ihre Blütenzeit geht so rasch vorbei, daß sie, solang kein entscheidendes Wort gefallen ist, auf ein Warten, das sich einstellen zu wollen scheint, nicht gut zu sprechen sind und sich jeden Entschluß im stillen vorbehalten. Wenn sie Hoffnung gegeben haben und nicht rechtzeitig dabei behaftet werden, so gehen sie zur Tagesordnung über; denn sie wollen ihre Kinder als junge Weiber und nicht als halbe Matronen haben und erziehen. Gerade die Schönsten und Gesundesten eilen ihrem Berufe energisch entgegen und verschmähen dann häufig die Heirat, wenn sie den besten Augenblick verfehlt haben.
    Meine eigene Ehe galt für eine Art Unicum, und die Leute sagten, es müsse so sein, weil zwei Unica sich geheiratet haben. Soweit das sich auf meine Person bezog, war es natürlich der Spott über meine Abtrünnigkeit von den Vorurteilen; auf die Frau aber war das Wort in seinem besten Sinne gut angewendet; und dennoch hatte es an einem Haar gehangen, daß sie nicht ein anderer heimgeführt.
    Das ist eben auch ein Stück Weltlauf!«
    Es bedurfte dieser traulichen Vertröstung des ältern Freundes nicht, die Geister der Leidenschaft in mir zu bannen. Die bloße Tatsache, daß Dorothea verlobt war und Isabel Gräfin zu W...berg hieß, vergegenwärtigte mir den Zustand, in welchen ich sie gebracht hätte, selbst wenn sie das Findelkind geblieben, ich weniger zurückhaltend gewesen und eine Verbindung zwischen uns erfolgt wäre. Es kam mir vor, wie wenn man einen großen Sommervogel in einen kleinen Grillenkäficht hätte setzen wollen. Die geheime Sorge, einer solchen Beschämung durch die schönste Glückserfüllung ausgesetzt zu werden, fiel mir wie ein Stein vom Herzen, und in diesem blieb nur die stille Sehnsucht nach der Verlorenen einträchtig neben der Trauer um die Mutter wohnen. Freilich kam mir dieser Weltlauf etwas teuer zu stehen; denn der Umweg über das Grafenschloß hatte mich nicht nur die Mutter, sondern auch den Glauben an ihr Wiedersehen und an den lieben Gott selbst gekostet, alles Dinge indessen, deren Wert nicht aus der Welt fällt und immer wieder zum Vorschein kommt.

Sechzehntes Kapitel
    Der Tisch Gottes
    Etwa ein Jahr später besorgte ich die Kanzlei eines kleinen Oberamtes, welches an dasjenige grenzte, worin das alte Heimat Dorf lag. Hier konnte ich bei bescheidener und doch mannigfacher Wirksamkeit in der Stille leben und befand mich in einer Mittelschicht zwischen dem Gemeindewesen und der Staatsverwaltung, so daß ich den Einblick nach unten und oben gewann und lernte, wohin die Dinge gingen und woher sie kamen. Allein sie vermochten die Schatten nicht aufzuhellen, die meine ausgeplünderte Seele erfüllten, und weil alles, was ich wahrnahm, durch die Düsternis gefärbt wurde, so erschienen mir auch die Menschlichkeiten, denen ich auf dem neuen Gebiete begegnete, dunkler, als sie an sich waren. Wenn ich sah, daß auch hier die Neigung zum Nachlassen und zur Pflichtvergessenheit zum Vorschein kam oder jeder die Wässerlein auf seine Mühle zu leiten suchte, daß Neid und Eifersucht auch in den kleinsten Amtsverhältnissen störend sich einnisteten, so war ich geneigt, das Übel dem Charakter des ganzen Volkes und Gemeinwesens zuzuschreiben, das in der Erinnerung und aus der Entfernung mich so täuschend angelockt habe. Wenn ich aber meines belasteten Bewußtseins gedachte, so schwieg ich, anstatt bei guter Gelegenheit meine Meinung offen herauszusagen. Ich begnügte mich, meine Obliegenheiten so regelmäßig und geräuschlos als möglich zu erfüllen, um die Zeit zu verbringen, ohne Unruhe, aber auch ohne Hoffnung eines frischern Lebens.
    Das hielten nun die Leute für das Muster einer ordentlichen Amtsführung, und da sie besser und wohlwollender waren, als ich dachte, so machten sie mich nach ein paar weiteren Jahren, ohne mein Zutun und gegen meinen Wunsch, zum Vorsteher des Amtskreises. In dieser Stellung konnte ich nicht umhin, mehr unter die Leute zu gehen und an Zusammenkünften verschiedener Art teilzunehmen, immer als der ziemlich melancholische und einsilbige Amtsmann, der ich war. Jetzt lernte ich, da ich die politische Bewegung im großen und mehr in der Nähe sah, ein Übel kennen, das mir wirklich neu, obgleich es zum Glücke nicht gerade herrschend war. Ich sah, wie es in meiner geliebten
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