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Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]

Titel: Der gruene Heinrich [Zweite Fassung]
Autoren: Gottfried Keller
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gleich schön und doch nicht beide gleich in ihrem wahren Wesen.
    »Nun habe ich Hunger und möchte essen, wenn du was hast!« sagte Judith; »aber richte dich ein, den übrigen Tag mit mir im Freien zuzubringen; unter Gottes freiem Himmel wollen wir unsere Sachen zu Ende führen!«
    Wir stellten fest, daß ich nach Tisch mit ihr heimwärts fahre, daß wir aber am Eingange des Tales, wo wir uns zuerst getroffen, den Wagen weiterschicken und den Berg mit der Nagelfluhe besteigen wollten.
    Fröhlich und zufrieden aßen wir zusammen im Herrenstübchen des Gasthauses zum goldnen Stern. In einem der Fenster leuchtete eine zweihundertjährige gemalte Scheibe mit den Wappen eines Ehepaares, das nun schon lange zu Staub geworden. Über den beiden Wappen stand die Inschrift: »Andreas Mayer, Vogt und Wirt zum gülden Stern, und Emerentia Juditha Hollenbergerin sind ehlich verbunden am 1. Mai 1650.« Der Hintergrund, auf welchem die zwei Wappen standen, zeigte ein Gartenland mit einer Gesellschaft zechender Engelsfigürchen zwischen Rosenbüschen. Ein geschmücktes Paar, die Handschuhe in den Händen, sah den kleinen Trinkgesellen wohlgefällig zu. Zuunterst aber quer über die Scheibe stand auf einem breiten Bande der Spruch:
    Hoffnung hintergehet zwar,
    Aber nur, was wankelmütig;

    Hoffnung zeigt sich immerdar
    Treugesinnten Herzen gütig!

Hoffnung senket ihren Grund
    In das Herz, nicht in den Mund!

    Die gemeinsame Quelle, aus welcher beide Schreiber, die so weit auseinander lebten, der alte Glasmaler und das Fräulein im Grafenschloß, geschöpft hatten, mußte somit ein sehr altes Buch sein.
    Mich aber berührte diese Aufdringlichkeit des Zufalls, die aus der ganzen Schilderei leuchtete, eher ängstlich und beklemmend als freudig; denn dieser Machthaber schien sich förmlich zu meinem Führer aufwerfen zu wollen, und der Spruch konnte eine neue Täuschung verkünden. Judith las denselben, ohne auf das Bildwerk zu achten, und sagte lächelnd: »Welch ein schöner Vers und gewißlich wahr; man muß ihn nur richtig verstehen!«
    Wir begaben uns also auf den Weg, schickten den Wagen am Fuße jenes mäßigen Berges weg und wanderten gemächlich hinauf, und zwar auf die Scheitelhöhe. Dort standen, weit in das Land ragend, zwei mächtige uralte Eichbäume, unter welchen eine Bank und ein steinerner, ganz bemooster Tisch sich befanden. Vor der christlichen Zeit sollte hier eine Kultusstätte, später eine Dingstätte gewesen sein und von letzterer Bestimmung der Tisch herrühren.
    Auf der Bank im Schatten der mächtig ausgreifenden Aste sitzend, schauten wir Hand in Hand in die bläuliche Ferne der Rundsicht. Judith hatte ihren Hut und Sonnenschirm auf den Tisch gelegt. Nach einer Weile, als sie auch den Tisch betrachtet und sich die Bedeutung desselben hatte erklären lassen, sagte sie mit bedächtlichen und bewegten Worten: »Wie nennt man's denn in den Ländern, wo es Könige gibt, wenn diese gekrönt werden und an den Altären stehen?«
    Ich wußte nicht gleich, was sie meinte, und sann nach. Da ich sie aber unverwandt auf den alten Steintisch schauen sah und sie sogar Hut und Schirm wegnahm, wie um die Sache deutlicher zu machen, fiel es mir ein, und ich sagte:
    »Es heißt, sie nehmen die Krone von Gottes Tisch!«
    Da sah sie mich zärtlich an und flüsterte: »Ja, so heißt es! Sieh, und nun könnten wir hier auch das Glück von Gottes Tisch nehmen, was die Welt das Glück nennt, und uns zu Mann und Frau machen! Aber wir wollen uns nicht krönen! Wir wollen jener Krone entsagen und dafür des Glückes um so sicherer bleiben, das uns jetzt, in diesem Augenblicke, beseligt; denn ich fühle, daß du jetzt auch glücklich und zufrieden bist!«
    Ich schwieg erschüttert still. Doch fuhr sie fort: »Schau, ich habe es mir schon auf dem Meere und während eines Sturmes überlegt, als die Blitze um die Masten zuckten, die Wellen über Deck schlugen und ich in der Todesangst deinen Namen ausrief, und die letzten Nächte wieder hab ich es hin und her gewendet und mir gelobt Nein, du willst sein Leben nicht zu deinem Glücke mißbrauchen! Er soll frei sein und sich durch die Lebenstrübheit nicht noch mehr abziehen lassen, als es schon geschehen ist!«
    Ich schüttelte aber den Kopf und sagte betroffen: »Ich will nicht unbescheiden sein, Judith, allein ich habe es mir doch anders gedacht. Wenn du mir in der Tat gut bist, willst du nicht lieber bei mir leben, als immer so einsam sein, so allein stehen in der Welt?«
    »Wo du bist,
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