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Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Titel: Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918
Autoren: Herfried Münkler
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deswegen bis zum Schluss ausgefochten werden müsse. Gegen Russland führe man einen «heiligen Krieg» zur Verteidigung der Kultur gegen Despotie und Barbarei. Gegen Frankreich führe man einen ehrenhaften Krieg, den man möglichst schnell durch einen Separatfrieden, «einen Frieden deutscher Großmut und europäischer Weisheit», beenden solle, da die Mitwirkung der Franzosen bei der Verteidigung Europas unverzichtbar sei. Gegen England aber sei man in «der Pflicht zu einem radikalen, Europa Freiheit und politische Autonomie zurückgebenden Kriege». Das von England kontrollierte Gleichgewicht zwischen den europäischen Staaten sei ein typisches Produkt englischen Kaufmannsgeistes, der lebendige Kräfte wie tote Gewichte behandle, die er bilanzieren und balancieren könne. «Dieser beispiellos freche Anspruch, mit Europa bloß zu ‹rechnen›, anstatt sich als Glied Europas zu fühlen, erhielt dann als köstliches ethisches Cachet die Formulierung, es sei Englands ganz besondere göttliche Sendung, ‹die Rechte der Schwachen› zu schützen.» Der englische Kriegseintritt unter Verweis auf die belgische Neutralität war für Scheler nur ein weiterer Beleg für den britischen
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, die Scheinheiligkeit der Engländer. Englands kapitalistische Grundeinstellung zeige sich auch in dessen Umgang mit dem Militär: Der Soldat sei für die Engländer «der bloße Schrittmacher des Kaufmanns», und so habe England keinen kriegerischen, sondern lediglich einen räuberischen Geist hervorgebracht. «Die gesamte englische Philosophie, die militaristische und pazifistische, verwechselt den Krieger mit dem Räuber. […] Es ist daher kein Wunder, daß der echt englische Drang, von seinen insulären Verhältnissen aus Weltverhältnisse zu generalisieren, […] dazu führt, alle Kriege […] auf Ursachen der ökonomischen Erwerbssucht zurückzuführen.» Dementsprechend sei die englische Kritik am preußisch-deutschen Militarismus – einige britische Intellektuelle hatten die «Befreiung Deutschlands vom Geist von Potsdam» als britisches Kriegsziel ausgerufen [422] – nur der ideologische Ausdruck des Verhältnisses zwischen Heer und Nation, das auf der Insel vorherrsche, wo das Militär ein Instrument bewaffneter Handelsunternehmungen und kolonialer Beutezüge sei. [423]
    Der Berliner Wirtschaftshistoriker Werner Sombart, Autor des mehrbändigen Werks
Der moderne Kapitalismus
, hat diesen Gedanken Schelers in seinem Buch
Händler und Helden
radikalisiert. Darin führt er den Krieg auf den fundamentalen Gegensatz zwischen einer durch die Engländer repräsentierten händlerischen und der von den Deutschen vertretenen heldischen Grundeinstellung zurück, die diesem Konflikt auch seine eigentliche Bedeutung verleihe. Nicht wer die Weltmeere beherrschen werde, sei die «wichtige Menschheitsfrage, die jetzt zur Entscheidung steht; viel wichtiger und alles Menschenschicksal in sich fassend ist die Frage: welcher Geist sich als der stärkere erweist: der händlerische oder der heldische.» Das Problem der Deutschen, das Fehlen eines politischen Zwecks durch ein Übermaß an Sinn kompensieren zu müssen, zeigt sich bei Sombart in seiner ganzen Schärfe: «Händler und Held: sie bilden die beiden großen Gegensätze, bilden gleichsam die beiden Pole aller menschlichen Orientierung auf Erden. Der Händler […] tritt an das Leben heran mit der Frage: was kannst du Leben mir geben; er will nehmen, will für möglichst wenig Gegenleistung möglichst viel für sich eintauschen, will mit dem Leben ein gewinnbringendes Geschäft machen, das macht: er ist arm; der Held tritt ins Leben mit der Frage: was kann ich dir Leben geben? Er will schenken, will sich verschwenden, will sich opfern – ohne Gegengabe; das macht: er ist reich. Der Händler spricht nur von ‹Rechten›, der Held nur von den Pflichten, die er hat. […] Die Tugenden des Helden sind […] ‹schenkende Tugenden›: Opfermut, Treue, Arglosigkeit, Ehrfurcht, Tapferkeit, Frömmigkeit, Gehorsam, Güte.» Für Sombart geht es im Kampf zwischen Händler und Held letztlich um nichts weniger als um die Rettung der Welt: Vor dem Krieg habe die händlerische Kultur kurz vor der Eroberung der ganzen Welt gestanden, und der Kapitalismus sei das Instrument gewesen, mit dem sie sich ihrer Stück für Stück bemächtigt habe. «In England war die Menschheit zuerst an der händlerischen Weltanschauung erkrankt. Aber die englische Krankheit hatte dann weiter um sich gegriffen und hatte
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