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Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Titel: Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918
Autoren: Herfried Münkler
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Werkzeuge seiner Macht. […] Gott ist mit uns, er würdigt uns, Ausführer und Vollender seiner ungeheuren Ratschlüsse zu sein.» [418]
    Bei Eck und all den anderen, die davon sprachen und schrieben, Gott habe die Deutschen als sein Werkzeug auserwählt und ihnen selbst das Schwert in die Hand gedrückt, [419] blieb allerdings offen, welche
Absicht
Gott damit verfolgte. Das Ziel Gottes konnte nicht bloß in einer Veränderung der europäischen oder globalen Machtverhältnisse liegen, sondern musste mit dem Eintritt in eine neue Geschichtsepoche verbunden sein. In seiner im November 1914 in Straßburg gehaltenen Rede über
Deutschlands innere Wandlung
sah der Soziologe Georg Simmel den Sinn des Krieges in der Überwindung des «Mammonismus» und der Entstehung eines neuen Menschen. Zwar werde Deutschland selbst bei einem glücklichen Ausgang des Krieges «vergleichsweise arm zurückbleiben», doch sei diese relative Verarmung kein Nachteil oder Übel, sondern die Voraussetzung dafür, dass es nicht zu einer Entwicklung wie nach dem Krieg von 1870 / 71 komme, als die Gründerjahre zum «Symbol von volkswirtschaftlicher Ausschweifung, Unsolidität, übermütigem Materialismus» geworden seien. Im damals um sich greifenden «Mammonismus» sei das Geld nicht mehr als «das Mittel schlechthin» angesehen worden, vielmehr sei es zu einer «Anbetung des Geldes und des Geldwertes der Dinge» gekommen. In diesem «Transzendentwerden des Goldenen Kalbes» verfehle die geschichtliche Entwicklung ihr Ziel. Durch den neuen Krieg, so Simmel, hätten die Deutschen eine zweite Chance bekommen, und dieses Mal sollten sie die Voraussetzungen für einen
neuen
Menschen schaffen, der nicht mit dem
modernen
Menschen verwechselt werden dürfe. Simmels Vertrauen, dass es den Deutschen diesmal gelingen werde, diesen großen Schritt der Menschheitsgeschichte als Erste zu tun, begründete sich darin, «daß erst mit diesem Krieg auch unser
Volk
endlich eine Einheit und Ganzheit geworden ist und als solche die Schwelle des anderen Deutschland überschreitet». [420] Das Augusterlebnis diente der Vergewisserung, dass diesmal gelingen könne, woran in der Vergangenheit so viele gescheitert seien.
    Georg Simmel, einer der Begründer der Soziologie in Deutschland, dachte über die Bedeutung des Krieges für den Zusammenhalt der Gemeinschaft nach und hoffte, der Krieg werde den immer stärker um sich greifenden Individualismus zurückdrängen: Wenn der Krieg einen Sinn haben und nicht bloß auf die Tötung von Menschen und die Vernichtung von Werten hinauslaufen solle, dann müsse aus ihm eine neue, höherwertige Gesellschaftsordnung hervorgehen. Simmel, dessen universitäre Karriere wegen seiner jüdischen Herkunft in Deutschland lange blockiert gewesen war, hatte kurz vor Kriegsbeginn einen Ruf an die Reichsuniversität in Straßburg erhalten. Er starb dort wenige Wochen vor Kriegsende.
    Was Simmel politisch nicht weiter konturierte, wurde von Max Scheler in seinem Buch
Der Genius des Krieges
als Kampf gegen den britischen Kapitalismus präzisiert. Auch Scheler ging der Frage nach, warum es nach dem Krieg von 1870 / 71 nicht zu einem kulturellen und sittlichen Aufschwung in Deutschland gekommen sei, sondern Nietzsches bittere Bemerkung von der «Exstirpation des deutschen Geistes zugunsten des ‹Deutschen Reichs›» [421] in mancher Hinsicht durchaus zutreffe. Für Scheler lag das Verhängnis der Gründerjahre darin, «daß gleichzeitig mit unserem nationalpolitischen Aufschwung der allgemeine Weltkapitalismus von englischem Typus seinen höchsten Kulminationspunkt zu ersteigen begann und unser nationalwirtschaftliches wie ‹weltpolitisches› Auftreten in Formen zwang, […] die [dem deutschen Geist] im wesentlichen durch die Konkurrenz der Völker englischer Zunge –
gegen
sein wahres Wesen – aufgenötigt wurden». Schelers Antikapitalismus war insofern nicht internationalistisch ausgerichtet, sondern auf Staat und Nation als Träger einer «sozialen» Gesellschaftsordnung bezogen. Im Krieg, der jetzt geführt werde, gehe es nicht um die Konkurrenz gegen England, sondern um die «Erlösung vom Zwang einer Konkurrenz mit England». Und Scheler vergaß nicht hinzuzufügen: «Jeder Krieg gegen England als gegen das Mutterland des modernen Hochkapitalismus ist auch Krieg gegen den Kapitalismus und seine Auswüchse überhaupt.» So kommt er zu dem Ergebnis, dass in der Triple Entente England der Hauptgegner sei und der Krieg gegen England
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