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Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918

Titel: Der Große Krieg: Die Welt 1914 bis 1918
Autoren: Herfried Münkler
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verschob sie jedoch das ostasiatische Machtgefüge und führte so zu neuen und weitergehenden Begehrlichkeiten. Auch die Erschütterung der Kolonialverhältnisse in Afrika und Indien infolge des Ersten Weltkriegs war zunächst kaum bemerkbar, zeitigte dann aber doch immer größere Folgen. Das wahrscheinlich größte Problem, das dieser Krieg hinterlassen hat, ist der postimperiale Raum des Nahen und Mittleren Ostens, wo sich nach der Zerschlagung des Osmanischen Reichs Briten und Franzosen zeitweilig die «Beute» teilten, aber nicht in der Lage waren, eine stabile Ordnung mit entwicklungsfähigen Gesellschaften zu etablieren. Mit großer Wahrscheinlichkeit wäre
Greater Middle East
, wie die Region in der geopolitischen Terminologie der USA heute heißt, auch ohne den Großen Krieg zu einer Konfliktregion geworden (und der Balkan wie der Kaukasus wären es geblieben), aber die dramatischen Beschleunigungseffekte, die der Krieg mit sich gebracht hat, haben die politischen Bearbeitungsmöglichkeiten erheblich eingeschränkt.
    Offenbar hat jede Zeit ihren eigenen Blick auf den Krieg von 1914 bis 1918 , jede Zeit stellt die für sie dringlichen Fragen an ihn, setzt bei der Beschreibung seines Verlaufs unterschiedliche Schwerpunkte und bezieht ihn auf diese Weise auf ihr Selbstverständnis. Das gilt insbesondere für die Zwischenkriegsära sowie die Anfangsphase des Zweiten Weltkriegs, als man den Krieg von 1914 bis 1918 als eine unmittelbare Herausforderung begriff und die Deutschen sich anheischig machten, dessen Ergebnisse zu korrigieren. Es zeigte sich aber auch im ersten großen Historikerstreit der Bundesrepublik, in dem es um die Frage ging, ob das Deutsche Reich systematisch auf den Krieg hingearbeitet habe, wie der Hamburger Historiker Fritz Fischer und seine Schüler behaupteten, oder ob politische Fehler und Ungeschick sowie ein verfassungstechnisch nicht unter Kontrolle gebrachtes Militär den Konflikt zum großen Krieg eskalieren ließen, wie Fischers Freiburger Widerpart Gerhard Ritter dagegenhielt. Diese Debatte liegt jetzt ein halbes Jahrhundert zurück, und sie war die letzte größere Auseinandersetzung über den Ersten Weltkrieg, die für die politische Kultur der Bundesrepublik Bedeutung erlangt hat. Spätere Debatten, wie etwa die über den Primat der inneren oder der äußeren Politik, also die Frage, wie die gesellschaftlichen Konstellationen in Deutschland den Weg in den Krieg beeinflussten, oder die über den Erschöpfungsgrad des deutschen Heeres im Herbst 1918 , sind auf die Fachwissenschaft beschränkt geblieben. Der Krieg von 1914 bis 1918 hatte zwischenzeitlich seine Brisanz verloren, er war historisch geworden.
    Die Historisierung von Ereignissen und Entwicklungen ist freilich die Voraussetzung dafür, dass sie zu einem Objekt politiktheoretischer Analysen werden können. Umso mehr erstaunt es, dass in Deutschland seitdem keine Gesamtdarstellung des Ersten Weltkriegs entstanden ist. Das letzte große Buch dieser Art ist Peter Graf Kielmanseggs Werk
Deutschland und der Erste Weltkrieg
aus dem Jahre 1968 . Danach sind hierzulande eigentlich nur noch Arbeiten zu Einzelaspekten des Weltkriegs erschienen: Man beschäftigte sich mit seiner Entstehungsgeschichte oder mit seinem Ende und dessen Nachspiel, analysierte die Auswirkungen des Krieges auf die Gesellschaft und die Ordnung der Geschlechter, auf Männlichkeits- und Weiblichkeitskonstruktionen, auf Kunst und Literatur sowie den Schwund des Fortschrittsbewusstseins, der im Gefolge des Krieges in den meisten europäischen Ländern erfolgt ist. Das eigentliche Kriegsgeschehen sparte man dabei in der Regel aus, und wenn man sich ihm doch einmal zuwandte, dann vor allem im Hinblick auf seine Opfer. Diese Perspektive dominierte die historische und politiktheoretische Auseinandersetzung mit dem Krieg – den vielen Opfern wurden einige Verantwortliche gegenübergestellt, die als «Täter» fungierten. Nur lassen sich Täter und Opfer keineswegs immer klar voneinander trennen. Um die komplexen Interaktionszusammenhänge eines Krieges zu erfassen, bedarf es daher einer Gesamtdarstellung, die sich dem Krieg in seiner vollen Dauer sowie seinen unterschiedlichen Facetten widmet. Damit ist nicht gesagt, dass es Gesamtdarstellungen stets gelingt, die vielgestaltigen Wechselwirkungen eines Krieges zu erfassen und angemessen zu beschreiben, aber sie bilden zumindest die einzige Herangehensweise, die diesen Anspruch zu erheben vermag.
    Die politische wie
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