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Der Goldkocher

Der Goldkocher

Titel: Der Goldkocher
Autoren: Roland Adloff
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seinen Mut zusammen und fragte einen Kiepenträger, der aus der Stadt kam, ob er etwas von einem Tullian gehört habe, der vielleicht auf der Festung sei.
    Der Kiepenträger sah ihn forschend an, winkte ab und meinte, die Festung wäre voller Blutgesindel, warum man sich mit denen noch solche Mühe mache und die nicht gleich an den Galgen kämen. Ja, von dem Tullian hätte er schon mal gehört, aber ob der auf der Festung wäre, das wüsste er nicht. Der Kerl wäre der Satan persönlich, und seine Hinrichtung wäre ein Festtag für die Christenheit. Mit zusammengekniffenen Augen sah der Kiepenträger die Mutter an, die nervös am Kragen ihres Mantels fingerte und sich seit einigen Tagen trotz der Kälte immer wieder ausziehen wollte. Für einen Augenblick war ihr Kleid zu sehen, das sie sich aus schwerem Altartuch mit eingewirkten Silberfäden genäht hatte. Der Kiepenträger sah misstrauisch zwischen ihnen beiden hin und her, dann zog er Rotz und ging grußlos weiter.
    Später beobachtete Lips aus der Ferne das Treiben am Stadttor, wie Pässe geprüft wurden, auch die Karren nach versteckten Waren durchsucht wurden. In die Stadt würden die Torwächter sie nicht hineinlassen, ohne nach ihrem Herkommen zu forschen. Lips zog die Mutter am Ärmel weg und suchte in der Vorstadt nach der Schenke, in der sie den Vater kennen gelernt hatte.
    »Hier war's«, sagte die Mutter und zeigte auf ein Haus. Sie blieben in einiger Entfernung und beobachteten es. »Hier hat der Tullian mich dick gemacht. Der macht schon was her, der Tullian. Da waren noch andere Weiber auf den Tullian aus! Aber ich hab sie alle ausgestochen, hab ich doch!« Für einen Augenblick glitt ein triumphierendes Lächeln über ihr Gesicht.
    Lips schwieg dazu und sah in seiner Erinnerung, wie Vater und Mutter aus einer Schüssel Brühsuppe löffelten. »Der Junge braucht neue Schuhe«, sagte der Vater. »Will nicht, dass ein Tullian wie ein Betteljunge rumläuft.« Die Mutter hatte sich herausgeputzt und sah mit diesem triumphierenden Lächeln der Grabich-Wirtin nach, die in die Küche ging. Lips zog sein Bein zurück, als ihn unter dem Tisch der Fuß der Mutter streifte, der hinüber zum Vater ging. Der schob den Krug der Mutter zu sich heran, brach das Brot und legte ihnen beiden ein Stück hin. Sie tunkte mit dem Brot in der Brühe und saugte genüsslich daran, wobei sie nach ihrem Krug schielte. Der Vater sah ihr mit dem Blick der Erwachsenen auf den Mund, wie sie sich einen Tropfen abwischte, der zum Kinn hinunterperlte.
    Lips wollte am Abend in die Scheune gehen, weil er an den Tagen, wenn der Vater von einer Diebestour zurück war, nie in ihrer Stube schlief. Da ging die kleine Tür im Scheunentor auf, und die Grabich-Wirtin hastete an ihm vorbei, wobei sie sich im Laufen das Haar ordnete. Erst dachte Lips sich nichts dabei, aber als er dann durch den Hintereingang in die Scheune gehen wollte, stand plötzlich der Vater im Tor, knöpfte an seinem Rock und schlug sich einen Halm ab.
    »Was hast du hier zu suchen!?«
    Lips zog seine Hände aus der Tasche, bereit, sie schützend vor sein Gesicht zu halten. »Nichts, Vater. Nichts.«
    »Und! Was guckst du so blöd! Is was?«
    »Nein, nichts.« Lips duckte sich etwas und war zum Sprung bereit, wusste aber gleichzeitig, dass er dem Vater nicht entkommen würde.
    »Wollt ich dir auch geraten haben! Und du sagst mir Bescheid, wenn der Arnold rumpfuscht! Verstanden?!«
    »Ja, Vater.« Lips sah dem Vater nach, der im Gehen den Hosenbund nachzog und dabei leicht in den Knien federte…
    ***
    »Träumste wieder, was?« Die Mutter stieß Lips an und verzog das Gesicht. »Ich brauch was zum Saufen.«
    Sie gingen näher an die Schenke heran. Auf einem in Öl getränkten Papier über dem Eingang entzifferte Lips tatsächlich in verwaschenen Buchstaben: Zum Goldenen Euter. Er ging um das Haus herum und suchte nach dem Zeichen des Vaters, aber nichts. Ein Mann kam mit einem Weib herausgetorkelt. Beide waren toll und voll und beschimpften sich, weil der Mann nicht nach Hause wollte. Lips ekelte das Gegröle, aber die Mutter sah belustigt dem Hin und Her zu. Schließlich schwankten die beiden Betrunkenen wieder zurück in die Schenke.
    »Nein, die kenn ich nicht!«, sagte die Mutter. Sie schlichen dann heran und sahen durch das verschlierte Fensterglas. In der Zechstube waren nur Gestalten zu sehen, bei deren Anblick jeder brave Mensch die Hand am Geldsack ließ. Die Mutter klebte mit den Augen an den Krügen, die auf den
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