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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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Rhythmisch schlug Djoser auf den Barren, der zwischen zwei Schafshäuten lag. Dabei wurde der Barren immer flacher und dünner, bis er so fein war wie ein Blatt. Daraus schnitt man Goldstreifen und wob sie wie Leinen zu einem wunderschönen, glänzenden Goldgewebe. Ranofer fiel ein Stein vom Herzen: Ibni hatte den kleinen Barren nicht gestohlen, vielleicht hatte Ibni ja überhaupt nichts gestohlen.
    Ich bilde mir das alles nur ein, sagte sich Ranofer. Mit dem Weinschlauch muss es etwas anderes auf sich haben. Es gibt dafür bestimmt eine andere Erklärung. Ibni ist nicht der Dieb.
    „Na, mein Freund, so geknickt?“, sagte eine Stimme vergnügt und schüchtern zugleich. Ranofer sah auf. Es war Heqet, der neue Lehrjunge, der ihn unsicher über eine Waschschüssel hinweg anlächelte. Heqet war zwölf oder dreizehn, kaum älter aber größer als Ranofer. Beide Jungen trugen immer noch die Jugendlocke: eine dicke Strähne, die schwarz wie Ebenholz von der rechten Seite des rasierten Kopfes auf die Schulter fiel. Am Handgelenk trugen sie Amulette zum Schutz vor den bösen Geistern, den Kheftiu. Beide waren nur mit einem kurzen Schurz bekleidet, der in der Taille von einem Gürtelband gehalten wurde. Hier aber hörte die Ähnlichkeit auf. Im Gegensatz zu Ranofer hatte Heqet eine Laufbahn vor sich. Er bekam eine Ausbildung und würde einmal ein geschickter Goldschmied sein, jedenfalls so geschickt, wie er es bei Rekh werden konnte. Wie schon bei ihrer ersten Begegnung vor drei Tagen, als Heqet in der Werkstatt aufgetaucht war, stieg Neid in Ranofer auf. Heqet lächelte verlegen. Ranofer spürte, dass man ihm seine Gefühle ansah, und nahm sich schnell zusammen. Er nickte Heqet so höflich zu, wie er konnte, stellte sich neben ihn an die Werkbank und zog eine Schüssel zu sich heran.
    „Möge dein Ka voller Freude sein“, murmelte Ranofer. „Wie geht es mit der Arbeit voran?“
    „Ach, ganz gut! Auch wenn ich nicht mehr weiß, wo hinten und vorne ist – sagte die Katze, als sie ins Netz des Vogelfängers stolperte.“
    Ranofer war verdutzt. In seinem Leben gab es nicht viel zu lachen, und Scherze wie diesen hörte er nie. Dann aber fing er an zu lächeln. Heqet strahlte. „Bei Amun! Ich dachte zuerst, du seist ein Griesgram. Aber du kannst ja doch lächeln! Sag mal, weißt du, wie man Gold wäscht? Ich habe davon so wenig Ahnung wie eine Maus vom Fliegen.“
    „Klar!“
    „Dann bring es mir um Ptahs Willen bei! Der mit der düsteren Miene, der Erste Geselle, hat nur gesagt: ,Wasch die Feilung, Kleiner!’, wie und warum, hat er mir nicht gesagt. Ist sie sauber?“
    „Ja, aber im Wasser ist immer noch Schmutz“, sagte Ranofer mit einem Blick in Heqets Schüssel. „Hast du sie nicht gefiltert?“
    „Gefiltert?“, fragte Heqet verdutzt. Ranofer zeigte ihm die groben Leinentücher unter der Bank, die zum Filtern benutzt wurden. „Komm, mach’s mir nach!“
    Sie spannten Tücher über die Schüsseln und leerten das Wasser mit der Feilung hinein. Die Tücher sanken bis zum Grund der Schüssel; das Wasser lief ab und nahm den Schmutz mit, das feine Gold blieb am Tuch haften.
    „So. Nun machen wir das Ganze noch mal mit frischem Wasser“, erklärte Ranofer.
    „Aha!“, bemerkte Heqet. „Langsam begreife ich, warum es hier so stinkt – sagte der Priester, als er die tote Ratte unterm Altar fand. Du bist sehr geübt, Ranofer. Wer hat dir das denn beigebracht.“
    „Mein Vater“, sagte Ranofer ohne nachzudenken. „Dein Vater? Ist er Goldschmied? Die Götter meinen es gut mit dir. Was bringt er dir denn noch alles bei?“ Ranofer hätte sich auf die Zunge beißen können, dass er seinen Vater erwähnt hatte. „Nichts!“, antwortete er kurz angebunden. „Warum denn das?“
    „Weil er vor zehn Monaten zu meiner Mutter gegangen ist, und die ist schon viele Jahre bei den Göttern.“ Heqet warf Ranofer einen Blick von der Seite zu und machte sich schnell wieder an die Arbeit. „Mögen ihre Bau immer Speis und Trank haben“, murmelte er. Einen Augenblick lang herrschte verlegenes Schweigen. Ranofer kämpfte ohne viel Erfolg gegen das altbekannte, schreckliche Gefühl der Einsamkeit an, das ihn nun wieder überwältigte.
    „Ich weiß gar nicht, wie du heißt“, sagte Heqet schnell. „Ranofer, Sohn des Thutra.“
    „Oh! Von Thutra, dem Goldschmied, habe ich gehört.“
    „Viele haben schon von ihm gehört. Er war ein Freund von Djau, dem Meister. Djau hat Vaters Arbeit sehr geschätzt.“
    „Auch du wirst
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