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Der goldene Kelch

Der goldene Kelch

Titel: Der goldene Kelch
Autoren: Eloise Jarvis McGraw
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Ein bescheidener Wein, aber von gutem Geschmack. Meine Frau macht ihn selbst von eigenen Datteln.“
    „Weiß ich!“, gab Ranofer verärgert zurück; das hörte er nun schon zum fünfzigsten Mal. Er wusste auch, dass Gebu den Wein nie trank; trotzdem schien er ganz begierig danach zu sein. Gebu wartete nachts, bis Ranofer schlief, und leerte den Wein dann auf den Hof. Der Junge hatte morgens schon oft die braunen Flecken auf den Steinplatten gesehen; sie waren noch feucht gewesen und hatten leicht nach Vergorenem gerochen. Irgendetwas war faul an dieser Sache. Immer wenn er daran dachte, wurde ihm unbehaglich zu Mute, also verdrängte er diesen Gedanken. Es war nicht gesund, seine Nase in Gebus Angelegenheiten zu stecken, das war ihm schon lange klar.
    Ranofer merkte, dass Ibni inzwischen zum Kern der Unterhaltung vorgedrungen war.
    „… ja, ja, ein bescheidener Wein, aber ein sehr guter Wein. Wenn du mir doch den kleinen Gefallen tun und deinem Bruder sagen würdest, dass ich ihm morgen einen weiteren kleinen Schlauch schicken will, den ich ihn mit größter Hochachtung bitte anzunehmen. Kannst du morgen bei Sonnenuntergang vor dem Goldhaus auf mich warten? Dann gebe ich ihn dir.“ Endlich verschwand er! Ranofer drückte mit zitternden Fingern den Stöpsel auf die Ölkanne. Er sah, wie Ibni hinter der Werkbank des Drahtziehers zu dem großen Krug schlich und Wasser trank – allerdings so wenig, dass er keinen wirklichen Durst haben konnte; dann ging er durch die Hintertür zu seinem Arbeitsplatz an den Bottichen, in denen er das Feingold wusch. Wie eine Natter, die in ihr Loch zurückkriecht, dachte Ranofer. Ibni wollte im Grunde nicht trinken. Er hatte im Hof überhaupt nichts zu tun, er hatte nur nach einer Möglichkeit gesucht, mich zu fragen, ob ich Gebu seinen kostbaren Weinschlauch gegeben hätte, und um mir zu sagen, dass ich morgen einen weiteren bekäme. Aber warum? Was ist so wichtig an einem kleinen Weinschlauch? Warum macht er so ein großes Geheimnis aus der Sache und gibt mir den Wein immer draußen vor dem Goldhaus und nicht einfach hier? „Ranofer!“
    Der Junge fuhr schuldbewusst auf. Sata, der Erste Geselle, rief ihn. Rasch legte er ein sauberes Stück Leinen über die Gussform und lief über den Hof, der von einer Lehmmauer umgeben war.
    Der Schuppen hatte drei Wände, eine Seite war offen; unter dem vorspringenden Dach aus Palmwedeln wurde das Licht schummriger und die Luft kühler. In einer Ecke brannten zwei viereckige Schmelzöfen. Dort saß Rekh, der Goldschmied, auf einem Schemel und leitete die Flamme mit einem spitz zulaufenden Rohr auf ein goldenes Ornament, das er vorsichtig mit einer Kupferzange hielt. Drei Lehrjungen beugten sich über ihn und sahen zu; auf das Klappern der Burschen, die das Feingold in großen Bottichen im hinteren Teil des Hofs wuschen, achteten sie nicht, auch nicht auf den Waagemeister, der dem Schreiber Zahlen zurief, und auch nicht auf das laute Hämmern des Zweiten Gesellen, der gerade eine Schale trieb. Ranofer blieb stehen. Auch er hätte Rekh gerne bei der Arbeit zugeschaut, hätte aufgepasst, wie er das Lötrohr führte und mit der Flamme verschiedene Stellen des Ornaments heiß machte und bearbeitete; dabei hätte er seiner Kenntnis des Handwerks, das er seit seiner Kindheit liebte, ein, zwei wertvolle Einzelheiten hinzufügen können. Aber Sata rief wieder: „Ranofer, komm endlich! Bei Amun, selbst eine Schnecke ist ja schneller als du! Da – feg meinen Tisch und pass auf, dass nicht ein Quäntchen Gold verloren geht! Ich möchte, dass du noch vor Sonnenuntergang die Goldabfälle feinst und gießt.“
    „Jawohl, Neb Sata.“
    Der Erste Geselle ging mit gewohnt grimmiger Miene zum Regal und legte ein fertiges Halsband auf ein Brett. Ranofer eilte zu Satas niedriger Werkbank, vor der eine Schilfmatte lag; außer Rekh benutzte niemand einen Schemel. In der Haltung der Goldarbeiter, ein Knie auf dem Boden, das Becken auf die Ferse gestützt, fegte Ranofer die Feilung – Goldstaub, Goldstückchen, Goldspäne und Drahtreste – mit dem Blatt des Balsabaums vom Tisch in eine Schafshaut, die unter einer ausgesparten Stelle an der Vorderkante des Tisches hing. Aus diesen Resten konnte mehr Gold wiedergewonnen werden, als man vermutete. Den kleinen, dünnen Barren, der nun da drüben im Hof neben der Ziehplatte lag, hatte er auch aus der Feilung gegossen. Und bald würde er einen weiteren gießen.
    „Ich bin fertig, Neb Sata“, sagte der Junge leise und
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