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Der glückliche Tod

Der glückliche Tod

Titel: Der glückliche Tod
Autoren: Albert Camus
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Die gesetzteren Leute gingen in die Cafés oder bildeten auf dem Bürgersteig Gruppen, die wie Inseln von der wogenden Flut der Passanten umbrandet wurden. Die Straße war jetzt beleuchtet, und die elektrischen Lampen ließen die ersten Sterne verblassen, die sich am nächtlichen Himmel zeigten. Unterhalb von Mersault breiteten sich die Gehwege mit ihrer Ladung von Menschen und Lichtern aus. Die Lampen spiegelten sich in dem blanken Pflaster, und die in regelmäßigem Abstand vorüberfahrenden Trambahnwagen setzten hier und da Glanzlichter auf einen schimmernden Haarschopf, eine feuchte Lippe, ein Lächeln oder ein silbernes Armband. Kurz darauf, als die Trambahnen seltener fuhren und die Nacht schon schwarz über Bäumen und Lampen stand, leerte das Viertel sich unmerklich, und die erste Katze überquerte langsam die verödete Straße. Mersault dachte ans Abendessen. Der Hals tat ihm etwas weh, weil er sich zu lange auf die Lehne seines Stuhls aufgestützt hatte. Er ging hinunter, kaufte Brot und Teigwaren, bereitete sich seine Mahlzeit und aß. Dann ging er wieder ans Fenster. Leute kamen aus den Häusern, die Luft hatte sich abgekühlt. Er fröstelte, schloß die Fensterflügel und trat vor den Spiegel über dem Kamin. Abgesehen von bestimmten Abenden, an denen Marthe ihn besuchte oder er mit ihr ausging, und seiner Korrespondenz mit seinen Freundinnen in Tunis entsprach sein Dasein ganz der gelblichen Perspektive, die der Spiegel ihm in einem Zimmer bot, in dem der verschmutzte Spirituskocher neben Brotresten stand.
    «Wieder ein Sonntag herum», sagte sich Mersault.
     

 III
     
    Wenn Mersault abends auf den Straßen promenierte und stolz war, auf Marthes Gesicht Licht und Schatten in gleicher Weise spielen zu sehen, schien ihm alles wunderbar leicht, auch seine Kraft und sein Mut. Er war dankbar dafür, daß sie diese Schönheit, die sie täglich über ihn ausgoß wie einen besonders erlesenen Rausch, an seiner Seite aller Welt offen zeigte.
     
    Wäre Marthe unscheinbar gewesen, hätte es ihn ebenso unglücklich gemacht wie etwa, sie glücklich zu sehen durch das Verlangen der Männer. Er war froh, daß er an jenem Abend das Kino mit ihr betrat, kurz bevor die Vorstellung begann, als der Saal schon fast voll war. Sie ging vor ihm her, von bewundernden Blicken begleitet, mit ihrem Gesicht, das ganz aus Blumen und Lächeln bestand, mit ihrer erregenden Schönheit. Er selbst, mit seinem Filzhut in der Hand, fühlte in sich ein übermenschliches Behagen, gleichsam ein tiefes Bewußtsein seiner eigenen Eleganz. Er setzte eine ernsthafte, distanzierte Miene auf, gab sich übertrieben höflich, trat zur Seite, um die Platzanweiserin vorbeizulassen, klappte den Sitz herunter, bevor Marthe sich niederließ - und das alles weniger, um angenehm aufzufallen, als wegen jener Dankbarkeit, von der sein Herz erfüllt war und die es mit Liebe für alles Lebendige durchdrang. Wenn er der Platzanweiserin ein übertrieben hohes Trinkgeld gab, so ebenfalls deshalb, weil er nicht wußte, wie er seiner Freude Ausdruck geben sollte und weil er durch diese alltägliche Geste einer Gottheit huldigte, deren strahlendes Lächeln wie ein Öl war, das den Glanz seines Blickes speiste. Als er während der Pause in dem Foyer mit den Spiegelwänden umherging, schickten ihm die Wände das Abbild seines Glückes zurück und bevölkerten den Raum mit eleganten, flackernden Bildern, mit seiner großen dunklen Silhouette und dem Lächeln Marthes in ihrem hellfarbigen Kleid. Gewiß, er liebte sein Gesicht, wenn er sich so sah, den zuckend bewegten Mund um die Zigarette herum und das spürbare Fiebern seiner etwas tiefliegenden Augen. Aber wenn schon! Die Schönheit eines Mannes macht in der Praxis bestätigte Wahrheiten sichtbar, die ihm innewohnen. Man liest auf seinem Gesicht, was er zu tun imstande ist. Was aber ist das im Vergleich zu der großartigen Zwecklosigkeit eines Frauengesichts? Mersault wußte recht gut, daß es seine Eitelkeit erfreute und seinen geheimen Dämonen lächelte.
     
    Als er wieder den Zuschauerraum betrat, dachte er daran, daß er allein nie während der Pause hinausging, sondern lieber rauchte und sich die leichte Schallplattenmusik anhörte, die man dann dem Publikum bot. Heute abend aber ging das Spiel für ihn weiter. Alle Gelegenheiten, es zu verlängern und zu erneuern, waren ihm recht. In dem Augenblick jedoch, als sie zu ihren Plätzen zurücckehrten, erwiderte Marthe den Gruß eines Mannes, der ein paar
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