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Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame

Titel: Der Glöckner von Nôtre Dame - Hugo, V: Glöckner von Nôtre Dame
Autoren: Victor Hugo , Pößneck GGP Media GmbH
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ersten war von Silber- und Gold-Brokat, der des zweiten von Seide, der des dritten von wollenem Tuch, der des vierten von Leinwand. Der erste Schauspieler hielt in der rechten Hand ein Schwert, der zweite ein Paar goldner Schlüssel, der dritte eine Wage, der vierte einen Spaten. Um auch den trägeren Auffassungsgaben, welche diese Attribute nicht gleich deuten könnten, zu Hilfe zu kommen, konnte man in großen, schwarzen und gestickten Buchstaben lesen, am Saume des Brokatkleides: Ich heiße Adel, am Saume des seidenen Rockes: Ich heiße Geistlichkeit, am Saume des wollenen: Ich heiße Kaufmannsstand, und am Saume des leinenen: Ich heiße Bauernstand. Das Geschlecht der beiden männlichen Allegorien war dem Scharfblick des Zuschauers durch kürzere Röcke und ein Barett angedeutet, während die beiden weiblichen Allegorien ein längeres Kleid und eine Haube auf dem Kopfe trugen.
    Nur Böswillige konnten aus der Poesie des Prologs nicht entnehmen, daß Ackerbau an Handelsstand, Adel an Geistlichkeit vermählt war, daß beide glückliche Paare einen schönen Delphin von Gold gemeinschaftlich besaßen, den sie nur der Schönsten zusprechen wollten. Sie durchwandelten die Welt und suchten die Schönheit, und als sie nacheinander die Königin von Golconda, die Prinzessin von Trebisund, die Tochter des Groß-Khans der Tartarei verschmäht hatten, waren Bauernstand und Geistlichkeit, Adel und Kaufmannsstand nach Paris gekommen, ruhten aus auf der Marmortafel des Justizpalastes, und gaben dem ehrenwerten Publikum so viel schöne Sprüche und Sentenzen zum Besten, als man damals nur bei irgendeinem Examen, eine Disputation oder einer Feierlichkeit der Fakultät der Künste, wo die Magister und Baccalaurei zu Doktoren wurden, nur immer vorbringen konnte.
    Alles war auch wirklich sehr schön. Aber es gab im ganzen Gedränge, über das die vier Allegorien ihre Flut von Metaphern wetteifernd hingossen, kein aufmerksameres Ohr, kein heftiger klopfendes Herz, kein heller blitzendes Auge, keinen weiter vorgestreckten Hals, als das Auge, Ohr, Herz und Hals des Dichters, jenes rechtschaffenen Peter Gringoire, der einen Augenblick vorher der Freude, seinen Namen den beiden hübschen Mädchen zu nennen, nicht hatte widerstehen können. Er war einige Schritte zurück hinter den Pfeiler getreten, dort sah, hörte und genoß er sein Werk in vollen Zügen. Das wohlwollende Klatschen, womit sein Prolog begrüßt war, durchzuckte noch immer seine Nerven, und er war in jene Art entzückter Selbstbetrachtung versunken, womit ein Schriftsteller zu horchen pflegt, wie alle seine Gedanken, einer nach dem andern, aus dem Munde des Schauspieles in das schweigende Publikum fallen. Oh du würdiger Mann, Peter Gringoire!
    Es tut uns sehr leid, berichten zu müssen, jenes erste Entzücken ward sehr bald gestört. Kaum hatte Gringoire seine Lippen an den berauschenden Becher der Freude und des Triumphes gesetzt, als ein Tropfen Bitterkeit sich in den Trank mischte. Ein zerlumpter Bettler, der, in der Masse verloren, keine Einnahme hatte halten können und ohne Zweifel keine hinreichende Entschädigung in der Tasche seiner Nachbarn fand, war auf den Einfall gekommen, sich auf irgendeinen hervorragenden Punkt zu setzen, um Blicke und Almosen auf sich hinzulenken; deshalb war er mit Hilfe der Pfeiler der hinteren Erhöhung bis zum Karnies hinaufgeklettert, das das Geländer am unteren Teil umzog; dort saß er und nahm die Aufmerksamkeit und das Mitleid der Menge mit seinen Lumpen und einem scheußlichen Geschwür in Anspruch, das seinen rechten Arm bedeckte. Übrigens sagte er kein Wort.
    Sein Schweigen ließ den Prolog ohne Hindernis seinen Fortgang nehmen, und es wäre keine unangenehme Störung dazwischengekommen, hätte es ein unglückliches Verhängnis nicht gewollt, daß der Student Johannes von der Höhe seines Pfeilers herab den Bettler mit seiner Ziererei bemerkte. Der junge Spaßvogel brach in schallendes Gelächter aus und rief, ohne sich um die Unterbrechung des Schauspiels und der allgemein gespannten Aufmerksamkeit zu kümmern, spöttisch aus: „Seht da den Krüppel von Bettler!“
    Jeder, der einen Stein in einen Sumpf voller Frösche warf oder ein Gewehr in einen Vogelschwarm abschoß, kann sich einen Begriff von der Wirkung machen, die diese Worte brachten. Gringoire wurde wie durch einen elektrischen Schlag geschüttelt. Der Prolog ward abgebrochen; alle Köpfe wandten sich unruhig auf den Bettler, der, weit davon entfernt, sich aus der
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