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Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)

Titel: Der Geschmack von Sommerregen (German Edition)
Autoren: Julie Leuze
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hinabgleiten. Er sieht gut aus, ein richtiger Sunnyboy mit Blondschopf und kornblumenblauen Augen. Ich hätte sofort misstrauisch werden müssen. Damals, als er anfing, sich für mich zu interessieren.
    Die Erinnerung steigt in mir auf, lässt sich nicht vertreiben, sosehr ich mich auch darum bemühe, und mit der Erinnerung kommen die Farben und Gefühle: die graue Enttäuschung. Der senfgelbe Schmerz. Und die widerlich-pinke Demütigung, als es zu Ende ging, auf die mieseste aller Arten … Nicht daran denken.
    Mein Herz hämmert, meine Wangen glühen. Ich wende mich ab. »Verzieh dich, Noah.«
    »So nachtragend? Du nimmst das Leben echt zu schwer, Sophie.« Er lacht, dann schlendert er davon.
    Lena schweigt betreten, selbst Walli verkneift sich einen Kommentar. Sie wissen beide, dass ich damals gelitten habe wie ein Hund.
    Ich starre auf die Spitzen meiner Ballerinas. Bin ich im Begriff, schießt es mir durch den Kopf, den gleichen Fehler ein zweites Mal zu begehen? Überschätze ich mich sträflich, wenn ich versuche, Mattis’ Aufmerksamkeit auf mich zu ziehen? Werde ich es büßen müssen?
    Plötzlich bin ich beinah froh, dass Mattis heute nicht da ist.
    Doch meine Freude hält nur kurz an. Schon am nächsten Tag fiebere ich wieder darauf hin, mich Mattis im neuen Glanz zu präsentieren – und werde erneut enttäuscht. Ob er nun krank ist, in München mit seiner H&M-Freundin knutscht oder in Unterwäsche vor der Kamera steht: In der Schule ist er jedenfalls nicht.
    Und das bedeutet, dass ich ihn zwei volle Wochen lang nicht sehen werde, denn am morgigen Samstag fangen die Pfingstferien an.
    Auf die ich mich eigentlich gefreut hatte.
    Jetzt nicht mehr. Denn nicht nur Mattis ist weg, sondern bald auch Lena: Sie hat spontan beschlossen, Leon die gesamten zwei Wochen in ein Ferienlager am Chiemsee zu begleiten, wo er sich als Betreuer für die Kids ein paar Euro dazuverdient.
    Wie es aussieht, werde ich ziemlich kreativ sein müssen, um nicht vor Langeweile zu sterben.

Acht
    Wankelmütig starre ich am Samstagmorgen in den Spiegel. Pferdeschwanz oder offene Mähne? Gegelte Brauen oder den üblichen Wildwuchs? T-Shirt oder das enge Top, das ich bisher nur ein einziges Mal angehabt habe?
    »Du bist bald erwachsen, verdammt«, knurre ich mein Spiegelbild an. »Es ist überhaupt nichts dabei, wenn du dich auf Dauer von deinem Kinder-Look verabschiedest!«
    Also mache ich mich zurecht, als stünde Mattis vor der Tür, um mich zu unserem ersten Date abzuholen, mit einer roten Rose zwischen den Zähnen. Bei der Vorstellung muss ich grinsen, und meine Laune bessert sich.
    Ich schaue aus dem Fenster und überlege, was ich mit dem ersten dieser sechzehn langen Ferientage anfangen soll. Ein lauer Wind weht herein, in meine Nase steigt der Duft von Frühsommerblumen und warmem Gras. Ob ich die Pfingstrosen neben dem Tannenversteck fotografieren soll, die gerade in voller Blüte stehen?
    Kurz entschlossen greife ich nach meiner Kamera und nehme mir vor, eine richtig lange Fototour zu machen. Erst durch unseren Garten, dann durch den Wald und die Maisfelder um Walding herum, dann entlang des Weihers. In den nächsten Tagen kann ich die Fotos in aller Ruhe am Computer bearbeiten, werde endlich anwenden, was ich in der AG gelernt habe. Und das Beste: Keine Hausaufgaben oder anstehenden Klassenarbeiten werden mich dabei stören.
    Endlich macht sich Ferienstimmung in mir breit. Sie leuchtet so freudig-zitronengelb, dass ich sie beinah auf der Zunge schmecken kann. Und nicht einmal das macht mir etwas aus.
    Gegen Mittag hocke ich regungslos im Feld, vor meinem Objektiv fünf lange, zarte, hellgrüne Blätter: eine Maispflanze im Babystadium. Wie immer, wenn ich fotografiere, sehe ich die Welt als eine gigantische Ansammlung von Details, und jedes einzelne erscheint mir bedeutsam. Die sonnenwarme, nackte, krümelige Erde. Die Unkrautspitzen, die sich zaghaft aus der schwarzen Tiefe an die Luft wagen. Der Marienkäfer, der auf einem der Maisblätter sitzt, seine Flügel öffnet, vibriert – schnell, scharfstellen! – und losfliegt. Klick.
    Perfekt! Ich lächele zufrieden und schaue mir das Foto auf dem Display an. Es ist schwierig, Tiere zu fotografieren, noch dazu Insekten, für die ich den Makro-Modus benutzen muss. Aber dieser Marienkäfer hier war mir wohlgesonnen, hat brav gewartet, bis ich mit der Kamera so weit war, und transportiert nun auf meinem Bild genau die federleichte Sommerstimmung, die ich einfangen wollte.
    Nur mein
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