Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
Vom Netzwerk:
sie aus ihrer Starre.
    Kristin zielte nicht, sie zog einfach den Abzug durch. Die Distanz war zu klein, sie konnte gar nicht danebenschießen. Sie zog so oft am Abzug, bis es nur noch metallen klickte. Unter jedem donnernden Schuss stolperte die Gestalt rückwärts, wurde gegen die Kellerwand gedrückt und stürzte schließlich mit dem Gesicht voran zu Boden.
    Kristin warf die Waffe beiseite. Neben ihr stöhnte Robert.
    «Raus … wir müssen raus … das Feuer.»
    Sie half ihm auf die Beine. Aneinandergestützt stolperten sie auf die Treppe zu. Von oben stoben gelborange Funken zur Tür herein, durch das Holz der Stufen leckten die ersten Flammen. Eine unglaubliche Hitze flirrte ihnen entgegen, während sie die Stufen emporklommen. Kristin ging hinter Robert und drückte ihn vorwärts. Sorgte dafür, dass er nicht nach hinten kippte. Er schien sehr schwach, konnte sich kaum noch auf den Beinen halten. Die Tür kam immer näher, und mit ihr auch die sengende Hitze. Ihr Haar, die Augenbrauen – Kristin spürte, wie es sich kräuselte und verbrannte.
    Als sie nach Robert greifen und ihn die letzte Stufe hochschieben wollte, spürte sie den Griff an ihrem Knöchel. Zum Schreien fehlte ihr die Zeit und Kraft. Der Griff war lange nicht mehr so hart wie der, der sie eben in den Kellerraum gezerrt hatte, reichte aber aus.
    Sie fiel auf die Stufen, klammerte sich instinktiv an den rauen Stein und brach sich die Fingernägel ab. Die Hand zerrte an ihrem Knöchel und zog sie in die Tiefe. Über ihr krabbelte Robert auf den Kellerausgang zu. Er sah nicht, was hinter ihm passierte.
    Kristin hatte sich zu keiner Sekunde Gedanken darüber gemacht, was sie mit ihrem neu erlangten Wissen anfangen sollte, ob es ihr überhaupt von Nutzen sein könnte, doch als diese Hand sie in den Keller zurückzog, wusste sie es.
    «Du bist unschuldig», schrie sie gegen die immer lauter tosenden Flammen an. «Du hast die Frau nicht getötet. An der Klinge war nur dein Blut!»
    Plötzlich ließ der Zug an ihrem Knöchel nach. Die Hand war noch da, nach wie vor umklammerte sie ihr Fußgelenk, doch sie zog nicht mehr. Dann sah sie Roberts Bein neben sich auftauchen und gegen den verunstalteten Kopf treten. Der Griff löste sich, die Gestalt verschwand im Keller. Und Kristin war, als hörte sie einen langgezogenen nach Erlösung klingenden Seufzer. Aber vielleicht waren es auch nur die Flammen.

35
    Die Flammen waren unersättlich und gierig. Mit ihren roten Zungen fraßen sie sich an der Treppe empor, schnellten auf dem Teppich des oberen Flures entlang und verteilten sich über die hölzernen Türrahmen in allen Zimmern. Das trockene Holz, der Teppich, die Möbel und Stoffe boten ausreichend Nahrung. Das Feuer wuchs und wuchs. Seine zuerst sanft raunende Stimme wurde zu einem lodernden Brüllen und Fauchen. Es zerstörte, was es fand, und bekam niemals genug, schien nur noch zorniger zu werden mit jedem Opfer.
    Das Obergeschoss war bereits ein Flammeninferno, als Robert Kristin auf die Diele zerrte. Blut lief aus seiner Jacke und tropfte auf den Boden.
    «Kristin … schnell, wir müssen Johann hier rausschaffen.»
    Mit dem heißen Atem des Feuers auf ihren Wangen krochen sie auf den bewegungslos daliegenden alten Mönck zu. Robert wollte seinen Puls fühlen, doch ein Teil des Treppenhauses brach funkenstiebend in den Keller. Sie fuhren zusammen, schützten ihre Köpfe. Heiße Glut brannte auf ihren Händen.
    «Raus hier!», rief Robert durch das gleißende Fauchen. Unter Schmerzen packte er Johann unter den Achseln, Kristin nahm die Füße. Gemeinsam erreichten sie den Ausgang und schleppten ihn bis hinter die Schneewehe. Dort brach Robert zusammen.
    Kristin sah zum Haus zurück.
    «Ich muss noch was holen», sagte sie, rappelte sich auf und lief zurück.
    Sie hörte Robert «Nein» rufen, ignorierte ihn aber. Ihr Haus würde ihr nichts tun. Nicht, solange sie nicht damit fertig war.
    Die Arme schützend vors Gesicht haltend, lief sie zum Wohnzimmer. Oben brach etwas mit lautem Krachen zusammen, eine Feuerflut ergoss sich die Treppe hinunter. Die Hitze war so enorm, dass es Kristin die Haare versengte. Im Wohnzimmer war es besser, dorthin war das Feuer noch nicht gelangt. Jedoch quoll bereits Rauch durch die Balkendecke. Hustend und keuchend ging Kristin auf das Regal zu, nahm die Kette mit dem Ehering vom Hals des Pokals und legte sie um ihren eigenen. In ihrer Lunge brannte ein eigenes Feuer, als sie sich auf den Rückweg machte. Dass sie das
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher