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Der Gesang des Blutes

Der Gesang des Blutes

Titel: Der Gesang des Blutes
Autoren: Andreas Winkelmann
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sich aufrichtete, lief das Blut ihre Wange hinab. Trotzdem stieg sie aus, taumelte und fiel mit dem Gesicht in den Schnee. Mühsam drückte sie sich wieder hoch und sah den leuchtend roten Fleck ihres Blutes im herrlichen Weiß. Sie rappelte sich hoch und stolperte an den ineinander verkeilten Autos aufs Haus zu. Als sie bei der Schneewehe ankam, roch sie Feuer.
    Ein paar Schritte weiter, sie hatte die Diele noch nicht betreten, sah sie die Flammen an der Treppe. Wild flackernd fraßen sie sich an dem trockenen Holz ins Obergeschoss. Kristin stolperte vorwärts, konnte sich aber mit beiden Händen am Türrahmen festhalten. Der Anblick in der Diele erschreckte sie zutiefst.
    Sie sah Johann bewegungslos am Fuße der Treppe, viel zu nahe bei den Flammen. In seinen Händen hielt er eine Packung Streichhölzer. Noch fraßen sich die Flammen am Holz empor, doch sie versengten schon jetzt sein Haar. Kristin konnte nicht erkennen, ob Johann noch lebte. Sie lief zu ihm, ging in die Hocke und schüttelte ihn bei den Schultern.
    «Johann … Johann, was ist? Wo ist Robert?»
    Die Hitze der nahen Flammen brannte auf ihren Wangen.
    Johann Mönck antwortete ihr nicht, doch in seinen Augen erkannte Kristin eine Bewegung. Sie beugte sich nah an seinen Mund, spürte die warme Atemluft, konnte aber nichts verstehen. Viel zu laut war das Geprassel der Flammen. Als Kristin sich aufrichtete und dem Blick des alten Mönck folgte, entdeckte sie die blutige Schleifspur.
    Zwei Streifen nebeneinander, wie von Fingern gezogen – und sie führten zur offen stehenden Kellertür!
    Feuer leckte bereits über der Tür. Kristin drückte Johann die Hand, dann richtete sie sich auf. Ihr Blick fiel auf die Waffe auf der Anrichte. Sie nahm den schweren Revolver und ging gebückt und einen Arm schützend vor ihr Gesicht haltend auf den Keller zu. Oben auf der Treppe war niemand, aber die blutige Spur führte in die Tiefe. In die dunkle Tiefe.
    Kristin machte Licht. Im selben Moment brach das Geländer der Treppe. Es hätte sie am Kopf getroffen, wäre nicht das obere Stück hängen geblieben. Instinktiv duckte Kristin sich noch etwas weiter und flüchtete nach vorn auf die Kellertreppe. Das Prasseln wurde leiser. Von unten drangen Geräusche herauf, die wie Stöhnen und Keuchen klangen.
    «Robert … bist du da unten?», schrie Kristin gegen die Flammen an.
    «Kristin … ich bin hier.»
    Die Worte, die schwach und gebrochen von unten heraufklangen, sorgten bei Kristin für ein Déjà-vu. Plötzlich fühlte sie sich an jenen Tag zurückversetzt, als sie zum allerersten Mal dieses Haus betreten hatte, als sie Tom gefolgt war, der vor ihr den Keller verlassen hatte. Mit einem kribbelnden Gefühl im Nacken war sie die Stufen hochgehastet und hatte Tom dieselben Worte rufen hören.
    Es gibt keine gruseligen Keller … es gibt überhaupt keine gruseligen Räume …
    Wie sehr er sich doch getäuscht hatte.
    Kristin überwand das Gefühl der Starre und ging hinunter. Sie hielt die Waffe weit vor sich, den Zeigefinger am Abzug. Dass sie daran ziehen musste, war ihr klar, mehr aber nicht. Hatte die Waffe eine Sicherung? Wenn ja, wo? Sie hatte keine Zeit, danach zu suchen. Oben polterte es auf der Treppe, Funken stoben zur Tür hinein. Die letzten zwei Stufen überwand Kristin springend. Im Kellerraum war kein Licht. Sie zielte in das Halbdunkel. Da war eine Bewegung, etwas Großes. Ihr Finger zuckte am Abzug der Waffe, doch sie schoss nicht. Die Gefahr, Robert zu treffen, war zu groß. Stattdessen trat sie einen schnellen Schritt vor, griff um die Ecke und tastete nach dem Lichtschalter.
    Sie hatte ihn kaum erreicht und herumgedreht, da griffen harte Finger nach ihrem Handgelenk, umklammerten es schmerzhaft und rissen Kristin mit einem kraftvollen Ruck in den Kellerraum. Sie stolperte vor und stürzte. Sah im letzten Augenblick Robert auf dem Boden liegen, bevor sie auf ihn fiel. Der Aufprall war hart, doch sie verlor die Waffe nicht. Vor ihr ragte die riesige Gestalt auf.
    Für einen Augenblick war Kristin wie gelähmt. Was sie sah, ließ ihren Verstand rebellieren und nah an einem Abgrund balancieren, aus dem es keine Rückkehr geben würde. Es war der Einbrecher, das halbe Gesicht fehlte, die Wunde, die die Gartenhacke gerissen hatte, klaffte deutlich. Aber es war auch der Scherenschleifer. Diese dunkle, kaum fassbare Gestalt aus ihren Träumen. Zwei Welten schienen sich in der hoch aufragenden Gestalt zu vereinigen.
    «Schieß», rief Robert schwach und riss
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