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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Autoren: Abdallah Frangi
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Heldentaten hervorgetan hatte. Er hinkte seither und versuchte, dieses Gebrechen durch einen langsamen Gang zu verbergen, aber das war nicht der Grund, weshalb er danach den Kampf nie mehr gesucht hat. Mein Vater war immer noch stark genug, einen Jeep anzuheben, bis seine Hinterräder in der Luft hingen, und ein grundsätzlicher Verzicht auf Waffengewalt wäre ihm als Beduine ohnehin nicht in den Sinn gekommen – meine beiden älteren Brüder kamen noch in den
Genuss von Schießübungen, wie sie zur beduinischen Erziehung gehörten. Nein, mein Vater zog sich aus einem anderen Grund zurück: Er hatte die Hoffnung verloren, dass der Kampf gegen die Engländer und ihre Verbündeten, die Zionisten, zu gewinnen wäre.
    Mit welchen inneren Kämpfen muss mein Vater seinen Entschluss bezahlt haben! Schon durch seine Vornamen war er mit der Geschichte dieses Landes verbunden. Denn Hassan, Suleiman und Ibrahim bilden eine geistige Ahnenreihe, die bis auf die früheste Zeit Palästinas zurückgeht, so weit überhaupt das Gedächtnis von Juden, Christen und Muslimen reicht. Hassan leitet sich von einem Verwandten des Propheten her, bezieht sich also auf eine rein muslimische Tradition. Suleiman wiederum ist das arabische Wort für Salomon, den König Israels, der nach muslimischem Verständnis ein Prophet, nach jüdischem wie christlichem ein Weiser war. Und mit Ibrahim ist Abraham gemeint, der Begründer des Monotheismus, den Juden wie Muslime gleichermaßen als ihren Stammvater verehren. Hier kam also ein geistiger Kosmos zum Ausdruck, der mehr als dreitausend Jahre palästinensischer Geschichte umfasste.
    Unser Familienname Frangi weist hingegen nach Europa. Ursprünglich bezeichneten die Araber damit die Franken, die Nordeuropäer, eigentlich jeden, der als Kreuzritter nach Palästina kam. Für einige aus meiner Familie spricht dieser Name für eine Herkunft aus Korsika, wo er häufig vorkommen soll. Mein Vater allerdings wollte von dieser Erklärung nichts wissen. Er konnte sich eher mit der Idee anfreunden, diesen Namen auf Vorfahren zurückzuführen, die sich nach europäischer Mode kleideten, als das in Palästina noch ganz und gar unüblich war. In jedem Fall ist es ein ungewöhnlicher Name für eine Beduinenfamilie.
    Davon abgesehen war mein Vater mit diesem Land natürlich in einem praktischen Sinn verwurzelt. Als Großgrundbesitzer
lebte er vom Ertrag seiner Felder. Und als Scheich, der die Verantwortung für die Hukuk-Sippe trug und damit eine Untergliederung des größten Beduinenstamms Palästinas, der Tayaha, vertrat, saß er im Rat der Stämme, der mit den britischen Kolonialbehörden verhandelte, wenn es um die Geschicke des Landes ging. Er war über die politische Entwicklung unterrichtet und muss damals bereits das Ausmaß der drohenden Katastrophe erfasst haben. Selbstverständlich bestritt er den Engländern weiterhin das Recht, Einwanderer nach Palästina zu holen und das Land jüdischen Siedlern zu geben; er sah voraus, wohin diese Politik führen würde: dass den Arabern erst das Land genommen wird, bevor sie selbst hinausgeworfen werden.
    Auch wenn mein Vater das Thema der drohenden Vertreibung zu Hause, vor seiner Familie, nicht anschnitt, wird diese Aussicht als beklemmende Vorstellung auf ihm gelastet haben. Das Einzige, was man als einen Hinweis auf die innere Spannung deuten mag, unter der er stand, war ein gerahmter Spruch auf seinem Schreibtisch. Er ist mir aus unserer Zeit in Gaza in Erinnerung, aber er dürfte schon vorher in seinem Arbeitszimmer an der gleichen Stelle gestanden haben, wo ihn mein Vater täglich vor Augen hatte. Es war ein altes arabisches Sprichwort, das er sich zum Lebensmotto und obersten Gebot erkoren hatte. Es lautete: »Ich werde Geduld bewahren, bis die Geduld selbst die Geduld verliert.« Was immer geschehen sollte, er hielt sich daran. Aber er scheint es doch für nötig gehalten zu haben, sich selbst wieder und wieder daran zu erinnern.
    Ich bin überzeugt, dass sich der innere Kampf meines Vaters auf mich übertrug – auf Wegen, die sich eine enge mentale Verbundenheit sucht – und als eine stete Unruhe in mir weiterlebte. Als Kind aber bekam ich von all dem, was die Erwachsenen mit zunehmender Sorge erfüllte, einstweilen nichts mit.

    In der Welt, deren Licht ich 1943 erblickte, gab es keine Angst. Ich lebte im Paradies. Für mich wölbte sich an jedem neuen Tag ein strahlend blauer Himmel über ein grünes Land aus Feldern, Plantagen und Viehweiden, das sich
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