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Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik

Titel: Der Gesandte - Mein Leben fuer Palaestina Hinter den Kulissen der Nahost-Politik
Autoren: Abdallah Frangi
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Nur weil Deutschland unbezweifelbar zu seiner Schuld und seiner Verantwortung gegenüber Israel steht, kann es eine Politik betreiben, die dem Anspruch der Palästinenser gerecht wird, ohne gegen das moralisch Gebotene zu verstoßen.
    Jahrzehntelang war ich zwischen Bonn und dem Nahen Osten gependelt, hatte Kontakte zwischen deutschen Politikern und den führenden Köpfen des palästinensischen Widerstands hergestellt und politische wie persönliche Beziehungen zwischen Vertretern beider Völker geknüpft. Am 11. November 2004 saß ich wieder einmal in einem Flugzeug. Diesmal war ich auf dem Weg nach Kairo, und diesmal war es die Maschine des französischen Staatspräsidenten Jacques Chirac, die den Leichnam Yassir Arafats von Paris nach Ägypten brachte. Während des Flugs beschloss ich, in Palästina zu bleiben und meine politische Arbeit in Gaza fortzusetzen. Es ging nun darum, das Werk Arafats weiterzuführen, und an Ort und Stelle konnte ich mehr dazu beitragen als aus der Ferne.
    Damit kehrte ich einem Land den Rücken, dem ich viel verdankte. Ein Land, in dem ich mich von Anfang an beheimatet gefühlt hatte, ein Land, das mir lange Jahre die Heimat ersetzt und offenbar auf mich abgefärbt hatte. In einer Diskussion hatte sich Daniel Cohn-Bendit einmal erlaubt, mich als »germanisierten Palästinenser« zu bezeichnen – ich muss bei diesem Gedanken schmunzeln. Und Arafat pflegte uns spöttisch, aber keineswegs unfreundlich, »die deutsche Bande« zu nennen, mich und die anderen Mitglieder des Zentralkomitees
von al Fatah, die wie ich in Deutschland studiert hatten. Wir besaßen ein Gespür für die Stimmung in Deutschland und Europa. Wir hatten das politische Handwerk in Deutschland erlernt, deutsche Politiker waren unsere Vorbilder oder Mentoren gewesen, und auch nachdem wir in Schlüsselpositionen aufgerückt waren, behielten wir unseren deutschen Stil bei.
    Bis zum heutigen Tag aber haben wir unser Ziel eines unabhängigen, lebensfähigen palästinensischen Staates nicht erreicht. Nach wie vor ist der Nahostkonflikt die schwärende Wunde, die die Welt vergiftet. Als jemand, der 1943 geboren wurde, vermag ich die Geschichte dieses Konflikts als Lebensgeschichte zu erzählen. Und als jemand, der hinter die Kulissen der palästinensischen wie der deutschen Politik geblickt hat, glaube ich, einiges zur Erhellung dieser Geschichte beitragen zu können. Was mich in diesem Unterfangen zusätzlich bestärkt, ist eine Erfahrung, die ich als Gefangener der Israelis im Jahr 1967 in den Gefängnissen von Hebron und Bethlehem gemacht habe.
    Nach monatelangen Verhören saß ich eines Tages nicht mehr einem israelischen Offizier gegenüber, sondern gewöhnlichen Israelis, eingewandert aus den verschiedensten Ländern Europas und Nordafrikas, aus Polen, Marokko, dem Jemen und Griechenland, und alle erzählten einfach die Geschichte ihres Lebens. Ein jüdisches Schicksal nach dem anderen rollte vor mir ab, in alltäglichen Worten geschildert, mit ruhiger Stimme vorgetragen, und aus der anonymen Masse meiner Feinde schälten sich mit einem Mal einzelne Menschen mit individuellen Biografien heraus. Die Gründe für meinen Kampf um Palästina wurden durch diese Erfahrung nicht hinfällig, aber seither habe ich auch nach den Gründen derer gefragt, die in diesem Kampf auf der Gegenseite standen.

Eine Welt ohne Angst
    Mein Leben beginnt vor meiner Geburt. Vielleicht mit der englischen Gewehrkugel, die meinem Vater die Lende zerriss und nicht entfernt wurde, weil er als Aufrührer hingerichtet worden wäre, sobald er ein Krankenhaus betreten hätte – im Jahr 1939 wurden alle Krankenhäuser Palästinas von den Engländern kontrolliert. Ein Freund schleppte den Schwerverletzten von Versteck zu Versteck, bis endlich ein arabischer Arzt gefunden war, der ihm den gesplitterten Hüftknochen bei vollem Bewusstsein wieder richtete und die Wunde versorgte. Mein Vater schwieg vor uns Kindern über seine Vergangenheit, wie er zu seinen Schmerzen geschwiegen hatte. Aber wenn Männer geritten kamen und sich in einem der großen Zelte niederließen, von denen fast ein Dutzend im Halbkreis zwischen den Schatten spendenden Bäumen des eingezäunten Grundstücks aufragte, dessen Mittelpunkt der Palast des Scheichs Hassan Juma Suleiman Ibrahim al-Frangi bildete, dann kam es vor, dass wir Kinder aus ihrem Mund Geschichten von gemeinsam bestandenen Gefechten vernahmen, Geschichten aus einer kriegerischen Zeit, in der mein Vater sich durch
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