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Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Geiger: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Mechtild Borrmann
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die fünfzig sein, aber er meinte Nikita Iwanowitsch Kopejew und seine Frau Sonja, die er im Konservatorium auf einem Foto als junges Paar gesehen hatte, zu erkennen.
    Sascha stellte sich ans Fenster und blickte in den Park hinaus. Er registrierte zwei weitere Kameras auf den Mauern, die offensichtlich das Gelände vor dem Grundstück überwachten. Links der Zufahrt stand ein kleines Wachhäuschen. Wahrscheinlich war es nur mit einem Wachmann besetzt, und ein zweiter saß an den Monitoren im Haus. Zusätzlich gab es diesen Bodyguard, vielleicht noch einen zweiten. Das alles analysierte Sascha mit professioneller Ruhe und ganz selbstverständlich.
    Er tastete nach der Briefkopie in seiner Sakkotasche und dachte an das Original in seinem Schuh.
    »Guten Tag.«
    Die Frau, die mitten im Zimmer stand, war fast lautlos eingetreten. Sonja Kopejewa musste Ende siebzig sein, wirkte aber jünger. Sie war klein und im Alter rundlich geworden. Ihr graues Haar war kurz geschnitten, und über einer blauen Tunika baumelte eine Brille an einer Goldkette. Sie blickte ihn mit wachen braunen Augen an.
    »Sie sind also der Enkel von Ilja Wassiljewitsch Grenko«, stellte sie fest. »Ich gebe zu, ich war ein wenig neugierig, kann mir aber nicht vorstellen, was Sie von mir wollen.«
    Eine junge Frau kam herein. Sie schwiegen, während die Hausangestellte mit flinker Hand Tee und Gebäck servierte und sich lautlos entfernte.
    Sonja Kopejewa bat ihn mit einer Handbewegung, in einem der grüngepolsterten Biedermeiersessel Platz zu nehmen.
    »Bitte setzen Sie sich.«
    Während sie Tee in die mit Goldrand verzierten Gläser goss, sagte sie: »Man sagte mir, Sie kommen aus Deutschland. Dann hat Ilja Wassiljewitsch Grenko nach seiner Flucht also noch einmal geheiratet«, stellte sie im Plauderton fest. Sie reichte ihm den Tee. Dann veränderte sich ihre Stimme. »Ich weiß nicht, was Sie von mir erwarten, aber ich kann nicht viel Gutes über Ihren Großvater sagen. Er hat zu viele Menschen mit seiner Flucht ins Unglück gestürzt. Wussten Sie, dass er damals bereits verheiratet und Vater von zwei Kindern war?« Sie suchte nach einer Regung in seinem Gesicht. »Seine Frau Galina, eine begabte und gefeierte Schauspielerin, wurde mit den Kindern in die Verbannung geschickt. Ich meine mich zu erinnern, dass es Karaganda war.« Sie atmete tief. »Und dann mein Vater! Er hat Ilja Wassiljewitsch geliebt wie einen Sohn, und mir war er zeitweise wie ein großer Bruder. Nach seiner Flucht wurde Vater krank. Er hat sich nie wieder erholt.«
    Sascha hörte in ihrer Stimme den Vorwurf und hörte auch, dass Sonja Kopejewa an diese Flucht glaubte, immer geglaubt hatte.
    Er spürte, dass er ihr nicht einfach den Brief zeigen konnte, dass er sie auf die Wahrheit vorbereiten musste.
    »Sonja Michajlowna«, begann er leise, »mein Großvater hat nicht wieder geheiratet. Ich bin in Kasachstan geboren und aufgewachsen, bin der Enkel von Galina Petrowna Grenko.«
    Er sah ihr Erstaunen. Mehrere Sekunden vergingen. Er sah zu, wie sie diese Information verarbeitete. Dann lächelte sie, und mit deutlich milderer Stimme sagte sie: »Jetzt bin ich doch froh, dass ich Sie empfangen habe. Ich erinnere mich, dass mein Vater Ihre Großmutter sehr geschätzt hat. Er hat ihr Schicksal immer sehr bedauert. Erzählen Sie. Wie kommt es, dass Sie in Deutschland leben?«
    Sascha erzählte von seiner deutschstämmigen Mutter, durch die ihre Ausreise möglich gewesen war. Dann machte er eine Pause, trank von seinem Tee und sagte: »Meine Eltern lebten nur wenige Monate in Deutschland. Dann wurden sie umgebracht.«
    Ihr erschrecktes »Das tut mir leid« klang aufrichtig.
    Eine kleine Pause entstand. Sie tranken von ihrem Tee. Dann sprach er es aus. »Sehen Sie, Sonja Michajlowna, mein Großvater hat sich nicht in den Westen abgesetzt.«
    Wieder vergingen mehrere Sekunden.
    Dann schüttelte sie entschieden den Kopf und sagte scharf: »Was reden Sie da. Natürlich hat er das.«
    Sie räusperte sich und fuhr mit der Milde eines Menschen, der es besser weiß, fort: »Ich kann natürlich verstehen, dass Galina Petrowna ihren Kindern und Enkeln die Wahrheit nicht zumuten wollte.«
    Sascha zog die Briefkopie aus der Tasche und legte sie auf den Tisch.
    Sonja Kopejewa beugte sich vor. »Was ist das?«
    »Der letzte Brief meines Großvaters.«
    Sie nahm ihn, faltete ihn auseinander und setzte ihre Brille auf.
    Schon nach wenigen Sekunden schoben sich ihre Augenbrauen zusammen, und auf ihrer Stirn
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