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Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Titel: Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Autoren: Libba Bray
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zieht mich durch einen Schleier aus Schwä r ze, bis ich vor mir wieder die gewundene Straße in Indien sehe. Ich bin eine Z u schauerin und bewege mich in einem Wachtraum, höre keinen Laut außer dem Klopfen meines Herzens, mein Ein - und Au s atmen, das Rauschen meines eigenen Bluts, das durch meine Adern strömt. Auf den Dächern über mir tollt das Äffchen des Drehorgelspielers herum, zähnebl e ckend. Ich versuche zu sprechen und stelle fest, dass ich es nicht kann. Das Affchen springt auf ein anderes Dach. Ein L a den, wo getrocknete Kräuter von der Dachrinne hängen und ein kleines Auge-und-Mond-Symbol –das gleiche wie an der Halske t te meiner Mutter –an der Tür angebracht ist. Eine Frau kommt mit schnellen Schritten die abschüssige Straße herauf. Eine Frau mit rotgoldenem Haar, e i nem blauen Kleid und weißen Handschuhen. Meine Mutter. Was macht meine Mutter hier? Sie sollte bei Mrs Talbot sein, Tee trinken und sich über Mode u n terhalten.
    Mein Name kommt über ihre Lippen. Gemma. Gemma. Sie ist gekommen, um mich zu suchen. Der Inder mit dem Turban ist direkt hinter ihr. Sie b e merkt ihn nicht. Ich rufe ihr zu, aber aus meinem Mund kommt kein Ton. Mit einer Hand stößt sie die Tür des Ladens auf und tritt ein. Ich fo l ge ihr hinein, mein Herz schlägt immer lauter und schne l ler. Sie muss doch wissen, dass der Mann hinter ihr ist. Sie muss seinen Atem hören können. Aber sie schaut nur nach vorn.
    Der Mann zieht einen Dolch aus seinem Mantel, aber noch i mmer dreht sie sich nicht um. Übelkeit steigt in mir hoch. Ich will sie aufhalten, sie fortzi e hen. Jeder Schritt ist wie ein Tritt in die Luft, das Heben meiner Beine eine ble i erne Qual. Der Mann bleibt stehen, horcht. Seine Augen weiten sich. Er hat Angst.
    Etwas lauert zusammengerollt in der dunklen Ti e fe des Ladens. Es ist, als hätte die Dunkelheit selbst begonnen, sich zu bewegen. Wie ist das möglich? Aber sie tut es, mit einem unangenehmen, schlurfenden Geräusch, das mir e i nen kalten Schauer über die Haut jagt. Ein dunkles Etwas kriecht aus seinem Versteck, dehnt sich aus. Es wächst, bis es jeden Winkel des Raumes erreicht. Aus seinem Innern dringt ein grässliches Schreien und Stöhnen hervor.
    Der Mann stürmt vorwärts und das dunkle Etwas stülpt sich über ihn. Es verschlingt ihn. Jetzt erhebt es sich über meiner Mutter und spricht zu ihr mit e i ner zischelnden Stimme.
    »Komm zu uns, meine Schöne. Wir haben auf dich g e wartet …«
    Mein Schrei explodiert in mir. Mutter blickt z u rück, wie Lots Weib, sieht den Dolch, der dort liegt, packt ihn. Das dunkle Etwas heult vor Wut auf. Mu t ter ist zum Kampf bereit. Sie wird es schaffen. Eine einzelne Träne rollt über ihre Wange, während sie ihre verzweifelten Augen schließt und sanft wie ein Gebet meinen Namen sagt: Gemma. Mit einer r a schen Bewegung hebt sie den Dolch und stößt ihn sich ins Herz.
    Nein !
    Ein gewaltiger Sog reißt mich aus dem Laden. Ich bin zurück in den Straßen von Bombay, als wäre ich nie weg gewesen, wild schreiend und um mich schlagend, worauf der junge Inder meine Arme herunterdrückt und sie fes t hält.
    »Was hast du gesehen? Sag ’ s mir!«
    Ich trete mit den Füßen nach ihm und winde mich unter seinem Griff. Ist hier niemand, der mir helfen kann? Was passiert hier? Mutter! Ich versuche, me i ne Gedanken unter Kontrolle zu bringen, logisch, vernünftig zu überlegen. Meine Mutter ist zum Tee bei Mrs Talbot. Ich werde hi n gehen und mich davon überzeugen. Sie wird ärgerlich sein und mich mit Sarita nach Hause schicken und es wird ke i nen Champagner geben und kein London, aber es wird mir nichts ausmachen. Sie wird lebendig und woh l auf sein und mir Vorhaltungen machen und ich we r de überglücklich sein, von ihr bestraft zu werden.
    Er schreit immer noch in meine Ohren. »Hast du meinen Bruder gesehen?«
    »Lass mich los!« Meine Beine haben ihre Kraft wiede r gefunden und ich trete nach ihm, so fest ich kann. Ich treffe ihn an seiner empfindlichsten Stelle. Er krümmt sich vor Schmerz und ich reiße mich los und rase blindlings die Straße hinunter und um die nächste Ecke, vorwärts getri e ben von Angst. Eine kleine Menschenmenge hat sich vor einem Laden versammelt. Einem Laden, wo getrocknete Kräuter vom Dach hängen.
    Nein. Das Ganze ist ein schrecklicher Albtraum. Ich werde in meinem Bett aufwachen und Vaters la u te, tiefe Stimme h ören, während er einen seiner endlosen Witze e r zählt, und danach Mutters
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