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Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen

Titel: Der geheime Zirkel 01 - Gemmas Visionen
Autoren: Libba Bray
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Sarita lächelt auf ihre Füße hinu n ter und zupft mit den Händen an ihrem braunen Sari. Ich fühle einen Anflug von schlechtem G e wissen, weil ich etwas so Hässliches über ihr Heimatland gesagt habe. Unsere Heimat, obwohl ich mich gerade ni r gendwo wirklich zu Hause fühle.
    »Memsahib, Sie wollen bestimmt nicht nach London. Grau und kalt ist es da und es gibt keine Da t teln. Es würde Ihnen nicht gefallen.«
    Mit schrillem Pfiff fährt ein Zug in der Nähe der gli t zernden Bucht ins Depot. Bombay. »Gute Bucht« heißt das, obwohl mir im Moment nichts Gutes dazu einfällt. Dunkler Qualm steigt aus der Lokomotive hoch bis zu den dicken Wolken hinauf. Mutter sieht gedankenverloren zu.
    »Ja, kalt und grau.« Sie führt eine Hand an ihren Hals, betastet das kleine silberne Medaillon, ein Auge über e i nem Halbmond, das dort an einer Kette hängt. Ein G e schenk eines Dorfbewohners, sagt Mutter. Ihr Glücksbri n ger. Ich habe sie nie ohne dieses Amulett gesehen.
    Sarita legt eine Hand auf Mutters Arm. »Es ist Zeit zu gehen, Memsahib.«
    Mutter reißt ihren Blick von dem Zug los und lässt die Hand sinken. »Ja, richtig. Mrs Talbot erwartet uns. Es wird bestimmt ganz reizend werden. Ich bin sicher, sie hat kös t liche Leckereien für deinen G e burtstag vorbereitet …«
    Ein Mann mit einem weißen Turban und einem weiten schwarzen Mantel stolpert von hinten in sie hinein und rempelt sie hart an.
    »Bitte tausendmal um Vergebung, verehrte gnäd i ge Frau.« Er lächelt, verbeugt sich tief zur Entschu l digung für seine g robe Unachtsamkeit. Dabei sehe ich hinter ihm e i nen jungen Mann stehen, der den gleichen seltsamen Ma n tel trägt. Für einen Moment starren der junge Mann und ich einander in die A u gen. Er ist kaum älter als ich, siebzehn schätzung s weise, mit brauner Haut, einem vollen Mund und den längsten Wimpern, die ich je gesehen habe. Ich weiß, ich sollte indische Männer nicht attraktiv finden, aber ich kenne nicht viele junge Männer und ich spüre, dass ich rot werde, ob ich will oder nicht. Er wendet den Blick ab und reckt den Hals, um über die Menge zu schauen.
    »Können Sie nicht aufpassen«, herrscht Sarita den ält e ren Mann an und droht ihm mit erhobenem Arm. »Wehe, Sie sind ein Dieb, dann ergeht ’ s Ihnen schlecht.«
    »Nein, nein, Memsahib, ich bin nur schrecklich ung e schickt.« Sein Lächeln erlischt und mit ihm auch die aufg e setzte Miene des fröhliche n Tollpatschs. Leise, in akzen t freiem Englisch flüstert er meiner Mutter zu: »Circe ist n a he.«
    Diese Worte ergeben für mich überhaupt keinen Sinn, ich halte sie für das bloße Ablenkungsmanöver eines geri s senen Diebes. Das will ich meiner Mutter gerade auch s a gen, doch der Ausdruck blanken Entsetzens auf ihrem G e sicht schnürt mir die Kehle zu. Mit wildem Blick fährt sie herum und sucht die übe r füllten Straßen ab, als halte sie nach einem verlor e nen Kind Ausschau.
    »Was ist los? Was ist passiert?«, frage ich.
    Die Männer sind plötzlich fort. Sie sind in der ha s tenden Menge verschwunden, nur ihre Fußspuren haben sie im Staub zurückgelassen. »Was hat der Mann zu dir gesagt?«
    Die Stimme meiner Mutter ist scharf wie eine Stahlkli n ge. »Nichts. Er war offensichtlich verwirrt. Die Straßen sind heutzutage nicht sicher.« Ich habe meine Mutter noch nie so gehört. So hart. So voller Angst. »Gemma, ich gla u be, ich gehe am besten a l lein zu Mrs Talbot.«
    »Aber … aber was ist mit dem Kuchen?« Es ist läche r lich, das zu sagen, aber heute ist mein G e burtstag, und wenn ich auch nicht darauf erpicht bin, ihn in Mrs Talbots Wohnzimmer zu verbringen, so will ich mich ganz b e stimmt nicht allein zu Hause langweilen, nur weil irgend so ein schwarz gekleideter Verrückter und sein Kumpan me i ner Mutter einen Schrecken eingejagt haben.
    Mutter zieht ihren Schal eng um ihre Schultern. »Wir werden später Kuchen essen …«
    »Aber du hast versprochen …«
    »Ja, aber das war, bevor …« Ihre Worte bleiben in der Luft hängen.
    »Bevor was?«
    »Bevor du mich so geärgert hast! Wirklich, Ge m ma, du bist heute nicht in der richtigen Stimmung für einen B e such. Sarita wird dich zurückbegleiten.«
    »Meine Stimmung ist ausgezeichnet«, protestiere ich, aber der Ton straft meine Worte Lügen.
    »Nein, ist sie nicht!« Mutters grüne Augen treffen me i ne. Da ist etwas, was ich noch nie zuvor darin gesehen h a be. Ein ungeheurer Zorn, der mir den Atem raubt. So schnell, wie er über
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