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Der geheime Auftrag des Jona von Judaea

Titel: Der geheime Auftrag des Jona von Judaea
Autoren: Rainer M. Schroeder
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genug wähnt und das Religiöse und der Glaube an Gott, insbesondere an Jesus Christus, aus dem öffentlichen Leben und alltäglichen Gespräch immer mehr in das rein Private verwiesen werden, können viele Menschen nicht mehr viel mit der Bibel anfangen. Nicht weil die frohe Botschaft des Evangeliums ihnen nichts mehr zu sagen hätte, sondern weil ihnen das soziale und kulturelle Grundwissen über die Zeit und die den Evangelien zugrunde liegenden Zusammenhänge fehlt, das für ein angemessenes Verständnis die nötige Voraussetzung wäre. (Man mag sich einmal vorzustellen versuchen, wie wenig allein schon ein oberflächlich interessierter heutiger Zeitgenosse mit den lokalen Nachrichten einer Tageszeitung von vor hundert Jahren anzufangen vermag. Und wir reden hier von Schriften, die vor fast zweitausend Jahren verfasst wurden!) So bleiben sie oft auch als Erwachsene in einem kindlichen, nicht selten sogar kindischen Gottesglauben verhaftet, sofern sie denn überhaupt noch über diese religiöse Kindesbildung verfügen, ein Gottesglaube, der ihnen mit zunehmendem Alter fremd wird und für ihr weiteres Leben als nicht mehr tauglich und belanglos erscheint.
    In allen anderen Wissensgebieten erlernen und erarbeiten wir uns im Laufe des Heranwachsens und einer beruflichen Weiterbildung einen immer größeren Wissensschatz, der uns befähigt, immer komplexeren Gedanken, Aufgabenstellungen und Techniken gerecht zu werden. Wer im Kindesalter mühsam das Einmaleins gelernt hat, wird nach vielen Jahren schulischer und beruflicher Ausbildung etwa als Bankangestellter, Bauzeichner, Ingenieur oder Physiker sicherlich im Einmaleins und bei einfachen Bruchrechnungen keine geistige Herausforderung mehr finden. Ein solches Ansinnen würde man als lächerlich bezeichnen und das zu Recht. Und ebenso wenig wird ein Deutschlehrer oder ein Journalist in der Kulturredaktion einer Zeitung seine geistigen Ansprüche, die er an die Literatur stellt, an den einfachen Texten seiner ersten Lesebücher aus Kindertagen ausrichten. In allen nur denkbaren Bereichen der Bildung entwickeln wir uns also einem immer höheren Wissensstand entgegen, nur auf dem Gebiet der Religion und des Glaubensverständnisses bricht diese Weiterbildung zumeist in der Zeit der Pubertät ab, sofern dieser Acker unseres Geistes nicht schon viel früher unbestellt bleibt. Und danach folgt dann nur noch Stillstand, der letztlich zu geistiger Armut und damit zu einer völligen Entfremdung von der Religion führt, und zwar nicht allein als Glaubender, sondern auch als Verantwortung tragendes Kulturwesen, das zwangsläufig, aber ohne sich dessen bewusst zu sein, nicht in der Lage ist, die Bibel zu lesen und ihre oft bildlichen Aussagen zu verstehen, die vor tausenden von Jahren in einem uns völlig fremden Kulturkreis entstanden sind. Und die Bibel wimmelt nur so von Bezügen und Anspielungen auf kulturelle Sitten und Gebräuche, Vorschriften der Tora und alltägliche Lebensumstände, die für Jesu Zeitgenossen so leicht zu verstehen waren wie heute für ein kleines Kind die Benutzung eines Gameboy oder einer DVD zum Abspielen auf dem Fernseher.
    Ich möchte das anhand von drei kurzen Beispielen verdeutlichen. Das erste wähle ich aus dem Alten Testament, wo der auch heute noch allen gut bekannte Satz steht: »Auge um Auge, Zahn um Zahn!« 24 Jeder, auch wenn er noch nie eine Bibel in die Hand genommen hat und auch sonst nichts über jene Zeit weiß, glaubt dennoch, diese Aussage richtig bewerten, deuten und einsetzen zu können. Und so wird sie denn als Beispiel für unbarmherzige Rache und Vergeltung, als heimzahlende »Gerechtigkeit« auslegt. In Wirklichkeit aber steckt das genaue Gegenteil, nämlich ein für die damalige Zeit geradezu revolutionär humaner, zum Maßhalten fordernder Anspruch in diesem alttestamentarischen Satz, von Theologen und Bibelforschern Talionsformel genannt. Bis zur Einführung dieser Forderung »Auge um Auge, Zahn um Zahn!« galt nämlich das Gesetz der Blutrache. Wem damals ein Leid zugefügt wurde, der rächte sich nicht selten dafür, indem er gleich die ganze Sippe seines Feindes für dessen Tat sühnen ließ. Das eine verlorene Auge, um in dem Bild zu bleiben, war dann Anlass, um in übersteigertem Rachedurst auch völlig unbeteilige Familienmitglieder und Verwandte zu ermorden. Was zur Folge hatte, dass sich nun diese Sippe gerechtfertigt fühlte, ihrerseits wiederum dafür grausame Blutrache zu nehmen. Das führte zu einem gegenseitigen
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