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Der Gefangene

Titel: Der Gefangene
Autoren: John Grisham
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keine Tanzveranstaltungen, keine Flüche. Sein Leben stand ganz im Dienst der Familie. Er war streng und schnell bereit, seinem einzigen Sohn nicht nur zu drohen, sondern auch den Gürtel aus der Hose zu ziehen und ihm den Hintern zu versohlen.
    Die Familie besuchte die Gottesdienste der First Pentecostal Holiness Church, einer sehr aktiven Pfingstkirchengemeinde. Als Anhänger eine Pfingstkirche glaubten die Williamsons an ein Leben im Dienst des Gebets, die Pflege einer nie abreißenden persönlichen Beziehung zu Christus, vollkommenes Vertrauen in ihre Kirche und deren Arbeit, fleißiges Bibelstudium und die Liebe zu den Glaubensbrüdern. Die Gottesdienste waren temperamentvoll, durch leidenschaftliche Musik, feurige Predigten und die emotionale Anteilnahme der Gemeinde charakterisiert. Oft beinhalteten sie Zungenreden, spontane Heilungen, »Handauflegen« und eine generelle Bereitschaft der Gläubigen, jenen Gefühlen laut Ausdruck zu verleihen, die der Heilige Geist ihnen gerade eingab.
    Kleinen Kindern wurden die farbigen Geschichten des Alten Testaments erzählt, und man hielt sie dazu an, populäre Bibelverse auswendig zu lernen. Schon in einem frühen Alter wurden sie ermutigt, »Christus anzunehmen«, zu beichten, den Heiligen Geist zu bitten, sie für das ewige Leben vorzusehen, und dem Beispiel Christi mit einer öffentlichen Taufe zu folgen. Ronnie nahm Christus im Alter von sechs Jahren an und wurde südlich der Stadt im Blue River getauft, als Abschluss einer langen Erweckungsversammlung im Frühjahr.
    Die Familie Williamson führte ein unauffälliges Leben in einem kleinen Haus an der Fourth Street, im östlichen Teil von Ada, nicht weit vom College entfernt. Wenn ihre Freizeit nicht durch das Engagement für die Kirche in Anspruch genommen war, besuchte sie Verwandte oder zeltete gelegentlich in einem nahe gelegenen Naturschutzgebiet. An Sport bestand kaum Interesse. Das änderte sich dramatisch, als Ronnie Baseball zu spielen begann, zuerst mit anderen Jungs auf der Straße nach improvisierten, ständig neu festgelegten Regeln. Bald war klar, dass er einen starken Arm und flinke Hände hatte. Er schlug von der linken Seite der Home Plate. Vom ersten Augenblick an war er dem Spiel verfallen, und er bettelte seinen Vater an, ihm einen Handschuh und einen Schläger zu kaufen. Obwohl Geld im Hause Williamson knapp war, erfüllte Roy seinem Sohn den Wunsch, und es wurde ein jährliches Ritual daraus. Jedes Frühjahr tauchten die beiden bei Haynes Hardware auf, um einen neuen Handschuh zu kaufen, in der Regel den teuersten im ganzen Geschäft. Wurde der Handschuh gerade nicht benutzt, bewahrte Ronnie ihn in einer Ecke seines Zimmers auf, wo er einen Altar für Mickey Mantle errichtet hatte, den größten Spieler der Yankees und den größten Baseballstar aus den Major Leagues, den Oklahoma je hervorgebracht hatte. Mantle wurde im ganzen Land vom Nachwuchs verehrt, doch in Oklahoma war er eine Art Gott. Jeder in der Little League spielende Junge träumte davon, der nächste Mickey Mantle zu werden, und Ronnie, der Fotos und Sammelbilder seines Idols an eine Pinnwand in seinem Zimmer heftete, bildete da keine Ausnahme. Schon im Alter von sechs kannte er nicht nur Mantles Statistiken in- und auswendig, sondern auch die vieler anderer Spieler. Wenn er nicht auf der Straße spielte, fuchtelte er im Wohnzimmer mit seinem Schläger herum. Die bescheidenen Möbel in dem kleinen Haus waren wegen der angespannten finanziellen Situation nicht zu ersetzen, und wann immer seine Mutter Ronnie dabei erwischte, wie er kraftvoll mit dem Schläger ausholte und nur knapp eine Lampe oder einen Stuhl verfehlte, jagte sie ihn aus dem Zimmer. Ein paar Minuten später war er wieder da. Für Juanita war ihr kleiner Junge etwas Besonderes. Möglicherweise verzogen, aber sie vergab ihm alles.
    Doch sein Verhalten konnte irritierend sein. Manchmal war er lieb und feinfühlig, zeigte seiner Mutter und den Schwestern ohne Scheu seine Zuneigung. Einen Augenblick später dann war er unausstehlich, selbstsüchtig und fordernd. Seine plötzlichen Stimmungsumschwünge waren schon früh auffällig, aber für niemanden Anlass zu wirklicher Sorge. Ronnie war eben manchmal etwas schwierig. Vielleicht lag es daran, dass er das Nesthäkchen war und von drei Frauen umsorgt wurde. In jeder Kleinstadt gibt es einen Little-League-Trainer, der Baseball so liebt, dass er permanent auf Talentsuche ist, selbst unter Achtjährigen. In Ada hieß dieser
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