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Der Gärtner von Otschakow

Der Gärtner von Otschakow

Titel: Der Gärtner von Otschakow
Autoren: Andrej Kurkow
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Lächeln verschwand vom Gesicht seines Freundes.
    [322] »Ich gehe nochmal nach Otschakow, vereinbare, dass man dich dort abholt… Und verabschiede mich.« Igors Stimme klang ungewohnt fest, und wahrscheinlich deshalb riefen die Worte bei Koljan keinen Protest oder Widerstand hervor.
    Ein Motorroller hielt am Gartentörchen und eine ganze Weile später klingelte es.
    Die Mutter war als Erste an der Haustür.
    »Wer ist da?«, fragte sie.
    »Kurier, für Igor Wosnyj.«
    »Kind, das ist für dich!«, rief Elena Andrejewna.
    Nachdem er von dem Kurierburschen das Päckchen erhalten hatte, kehrte Igor in sein Zimmer zurück und überreichte es Koljan.
    Der riss sofort die Verpackung auf und zog eine Plastikhülle mit Dokumenten heraus.
    »Möchtest du was trinken?«, fragte Igor. »Es ist doch ein aufregender Moment…«
    »Ich möchte neuerdings immer trinken.« Koljan sah hoch. »Her damit!«
    Es war fast schon elf Uhr abends. Die erste der beiden Kognakflaschen, die Igor auf dem Rückweg von Stepan gekauft hatte, ging gerade zur Neige. Jetzt tranken sie beide in gleichem Tempo, auch Igor versagte sich nichts.
    »Also, du gehst da jetzt hin und kommst wieder zurück?« Koljan blickte nervös zu seinem neben ihm sitzenden Freund.
    »Ja, für vierundzwanzig Stunden. Soll ich dir etwas zu lesen hierlassen? Damit dir nicht langweilig wird? Ich kann dir ein tolles Manuskript bringen, zum Thema Essen! Obwohl, nein, es ist schon spät…«
    [323] »Nein, ich kann nicht lesen… die Angst lenkt mich ab… Ich werde einfach warten. Lass mir lieber was zu trinken da!«
    »Mach ich!«, versprach Igor.
    Er brachte aus der Küche die zweite Flasche Kognak und zwei Flaschen Wermutschnaps herüber.
    »Reicht das?«, fragte er.
    »Das reicht«, sagte Koljan. »Gerade für drei Mal trinken und drei Mal schlafen…«
    Schweigend zog Igor die Milizuniform an, schnallte den Gürtel mit dem Halfter um, schlüpfte in die Stiefel, setzte die Uniformmütze auf. Zuletzt kam die Windjacke.
    Koljan betrachtete Igors Verwandlung gebannt, staunend. Auch er schwieg.
    »So, fertig, bleib sitzen.« Igor warf Koljan einen Abschiedsblick zu und verließ das Zimmer.
    Draußen wehte der Wind. Nicht allzu stark, aber kalt. Er wehte ihm von vorn ins Gesicht, als käme er aus der Vergangenheit, in die Igor jetzt unterwegs war.
    Die Dunkelheit wurde dichter. Häuser und Zäune zu beiden Seiten des Weges traten ins Unsichtbare zurück. Vor ihm zitterte ein fernes kleines Licht. Ein leichter Regen tröpfelte los. Automatisch versuchte Igor die Kapuze über den Kopf zu ziehen. Die Uniformmütze störte, er nahm sie ab und trug sie in der Hand.
    Die Beine führten ihn zu dem Platz vorm Tor der Kellerei. Der Regen hatte aufgehört und eine klebrige Feuchtigkeit in der Luft zurückgelassen.
    Aus dem sich öffnenden Tor blickte Wanja und trat gleich darauf heraus, auf seiner Schulter den Weinschlauch.
    [324] »Grüß dich«, rief Igor ihm zu.
    Wanja blieb stehen und spähte in alle Richtungen.
    Igor trat auf den beleuchteten Teil des Platzes. »Ich bin’s«, sagte er.
    Wanja nickte. »Ich habe Ihre Stimme erkannt. Sie waren ja lange weg… Und hier ist alles Mögliche passiert…«
    Sie bogen in die Straße ein, die zu Wanjas Haus führte.
    »Was denn?«, fragte Igor unterwegs.
    »Waljas Mann hat ein Messer abbekommen…«
    »Liegt er im Krankenhaus?«, fragte Igor.
    »Auf dem Friedhof… Jetzt ist sie nicht mehr auf dem Markt. Sie hat ein Trauertuch über den Kopf gezogen und sitzt zu Hause und weint.«
    Igor seufzte schwer. »Hat man den gefunden, der ihn erstochen hat?«, fragte er finster.
    Wanja schüttelte den Kopf, blieb stehen und rückte den Weinschlauch auf seiner Schulter zurecht. »Man hat so zugestochen, dass der Griff abbrach. Und die Klinge blieb zwischen den Rippen…«
    Bis zu Wanjas Haus gingen sie schweigend. Drinnen setzten sie sich in die Küche. Wanja schenkte sich und Igor Wein ein und lächelte im Stillen über etwas.
    »Sie haben ein Foto von mir bei der Zeitung genommen«, prahlte er. »Ich fotografiere jetzt auch für mich. Ein Freund hat mir die Bilder entwickelt und Abzüge gemacht.«
    »Bei welcher Zeitung?«, fragte Igor teilnahmslos.
    »Bei unserer, beim Otschakowetz. « Wanja trank einen Schluck Wein. »Sie sagen, sie zahlen mir einen Rubel zwanzig. Die Sache gefällt mir, das Fotografieren! Ich habe auch schon ein Fachbuch gelesen: ›Für den angehenden Fotografen‹.«
    [325] »Ja.« Igor trank ebenfalls einen Schluck. »Du
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