Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
und half dem Onkel.
    Ich putzte Salatblätter und schälte Kartoffeln und sah Onkel Paul zu, der das Kaninchen zubereitete. An seiner rechten Hand fehlten die drei mittleren Finger. Er hatte sie im Krieg verloren, ich kannte ihn nur mit der verkrüppelten Hand. Er hielt das Messer zwischen den beiden verbliebenen Fingern und dem Handteller und schnitt sehr geschickt und schnell. Auf seiner breiten, rotgesprenkelten Nase standen Schweißtropfen. Zwischendurch wusch er sich die Hände und ging hinaus. Als er zurückkam, zeigte er mir Papiere vom Reisebüro. Er hatte als Geburtstagsüberraschung für die Tante eine Flugreise ans SchwarzeMeer gekauft. Zwei Jahre hatte er dafür gespart. Ich sollte ihr nichts davon sagen. Er wollte es ihr erst am Tag der Reise mitteilen. Die Tante würde sich sonst weigern zu fliegen. Sie hatte Angst davor. Sie war noch nie in ihrem Leben geflogen. Sie meinte, ein altes Huhn lerne es nicht mehr.
    Onkel Paul lachte und sagte, er würde sein altes Huhn schon aufscheuchen. Seine gelben Augen verschwanden fast im Gestrüpp der Falten. Die Glatze, von dünnen, grauen Haarbüscheln umsäumt, glänzte jetzt rosig. Er freute sich wie ein Kind über seinen Einfall. Er flüsterte nochmals, daß ich nichts der Tante sagen solle, er würde sie sonst nicht ins Flugzeug bugsieren können. Dann brachte er die Papiere wieder ins Schlafzimmer, um sie zu verstecken.
    Mutter kam in die Küche und sagte, daß wir gehen müßten.
    Beim Abschied zwinkerte mir Onkel Paul zu und machte eine Handbewegung, worauf Tante Gerda wieder halb entrüstet und halb belustigt aufkreischte. Mutter gefielen seine Späße nicht. Sie nannte ihn einen ekelhaften alten Bock, und Onkel Paul tätschelte ihr die Wange.
    Zu Hause saß Vater vor dem Fernsehapparat und verfolgte eine politische Diskussion. Mutter schimpfte mit ihm, weil er nichts vorbereitet hatte. Wir stellten uns beide in die Küche. Ich machte den Salat und Mutter einen Filettopf. Sie fragte, wie ich damit zurechtkomme, allein zu leben, und ich antwortete, daß ich mich gut dabei fühle. Ich hätte jetzt Zeit für mich und könne über Dinge nachdenken, die für mich wichtig seien und früher im alltäglichen Krimskrams untergegangen wären. Sie sagte, daß sie mich verstehe. Dann wollte sie wissen, ob ich einen Freund habe, und ich sagte nein. Nach einer Pause fragte sie, wie ich denn als Frau damit zurechtkomme. Ich lachte und sagte ihr, daß ich natürlich manchmal mit einem Mann schliefe, wenn sie das wissen wolle. Dies zu bewerkstelligen seischließlich nicht so schwer. Mutter sagte, daß sie das gern glaube, ich sei ja jung und hübsch, aber ob ich nicht manchmal Angst vor später hätte, vor dem Altwerden. Es würde dann schwer sein, allein zu leben. Ich sagte ihr, daß ich mir darüber keine Gedanken mache.
    Wir arbeiteten einige Zeit schweigend. Ich merkte, daß Mutter nachdachte. Sie sah mich an und sagte mit einer seltsamen Stimme, daß ich es vielleicht richtig machen würde, richtiger als sie und die anderen. Aber sie sei jetzt schon so lange verheiratet, und außerdem sei ich eine andere Generation. Dann umarmte sie mich und sagte nochmals, daß ich es richtig machen würde.
    Beim Mittagessen war Vater verlegen. Er lobte meinen Salat umständlich und so lange, bis Mutter ärgerlich wurde. Ich sagte, daß ich sofort nach dem Mittagessen aufbrechen müsse. Ich wollte vor Einbruch der Dunkelheit in Berlin sein. Mutter bat mich, noch dazubleiben, weil wir uns doch gerade so gut verstünden. Und Vater wollte mir die Erbschaftspapiere zeigen, die er für mich und meine Schwester angefertigt hatte. Ich sagte, daß ich so etwas nicht haben wolle, aber Vater wünschte, alles geregelt zu wissen. Wir einigten uns darauf, es beim nächsten Besuch zu besprechen.
    Als wir uns verabschiedeten, schob mir Vater einen Fünfzigmarkschein in die Tasche, den ich ihm zurückgab. Ich wußte, daß er sich auf diese Art bei mir entschuldigen wollte, hielt das aber für unnötig. Er interessierte sich für Politik und ich nicht oder sehr wenig. Das ist eben so, und mehr ist dazu nicht zu sagen. Und wenn er mein Verhalten falsch findet, so muß er sich dafür nicht entschuldigen.
    Ich sagte ihm, daß ich genug verdiene und er lieber Mutter was kaufen solle. Dann küßten wir uns, und ich fuhr los.
    In der Mark hielt ich zweimal an und fotografierte eine zerfallene Scheune und die Ruine einer zweistöckigen Sägefabrikmit großen, verwitterten Aufschriften über den Besitzer, die
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher