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Der fremde Freund - Drachenblut

Der fremde Freund - Drachenblut

Titel: Der fremde Freund - Drachenblut
Autoren: Christoph Hein
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mich an dem Handgriff festhalten, was ihn amüsierte.
    Wir fuhren in eine kleine Kneipe, deren Besitzer Richard hieß und Henry mit Handschlag begrüßte. Er führte uns zu einem Tisch, der hinter einer kleinen Palme stand. Er war Mitte Vierzig, untersetzt, mit einem voluminösen, über die Hose quellenden Bauch und schlaffen, dicklichen Wangen. Henry und er kannten sich seit langem. Er blieb einige Zeit an unserem Tisch stehen und erzählte von seiner Frau. Dann berichtete er über einen Mord in der Gegend, in den einer seiner Kellner als Zeuge verwickelt war. Schließlich stellte er für uns ein Menü zusammen, dem Henry ohne Einschränkung zustimmte. Nachdem der Wirt gegangen war, erklärte mir Henry, daß er mich nicht nach meinen Wünschen gefragt habe, weil er sich auf Richard verlasse und ein möglicher Einwand von mir den Wirt gekränkt hätte.
    Das Essen war gut, und ich sagte es Richard, als er wieder an unseren Tisch kam und sich danach erkundigte. Er erzählte Henry, daß sein Wagen nicht in Ordnung sei, und fragte ihn, was er tun solle. Henry versprach, in den nächsten Tagen vorbeizukommen und sich das Auto anzusehen. Als ich ihn später fragte, ob er beruflich mit Autos zu tun habe, schüttelte er den Kopf. Er sei Architekt, er baue immerfortkleine, genormte, unnütze Atomkraftwerke, bei denen der Fluß einmal rechts und einmal links vorbeifließe. Letzteres sei das Aufregendste in seinem Beruf, der Rest alltägliche Routine. Die Autos seien für ihn nur ein Spaß, gewissermaßen ein Hobby.
    Wir tranken ziemlich viel Wein, und ich redete fortwährend, wie immer, wenn ich trank. Ich glaube, ich wurde auch etwas aggressiv: Mich störte Henrys ironische Gelassenheit, und ich versuchte, ihn zu kränken. Ich wollte ihn aus irgendeinem Grunde wütend machen. Ich weiß nicht mehr weshalb. Es gelang mir nicht. Henry lächelte nur.
    Als der Kaffee serviert wurde, setzte sich Richard zu uns. Er sprach wieder über den Mord und seinen Kellner. Dann redete er über sein Auto, von dem er offenbar überhaupt nichts verstand und das er dringend brauchte. Henry war verlegen, weil er merkte, daß mich ihr Gespräch nicht interessierte.
    Kurz vor Mitternacht brachen wir auf. Ich bat Henry, seinen Wagen stehenzulassen und ein Taxi zu rufen. Er fragte wieder, ob ich Angst habe. Ich wurde wütend und erwiderte, daß ich es nicht für besonders originell oder beeindruckend halte, angetrunken Auto zu fahren. Ich stieg aber dennoch in seinen Wagen.
    Während der Fahrt betrachtete ich ihn. Er hatte seinen Filzhut zurückgeschoben und fuhr sehr konzentriert. Das Steuer hielt er nur mit den Fingerspitzen. Er schaltete viel. Es waren gleitende, fast zärtliche Bewegungen. Es mußte ihm großen Spaß machen, einen Wagen zu fahren. Er bemerkte, daß ich ihn ansah, und lächelte befangen.
    Ich sagte, ich hätte das Gefühl, das Auto bedeute ihm viel. Er bestätigte es.
    Nach einer Pause sagte er: Wenn ich fahre, spüre ich, daß ich lebe.
    Große Worte, sagte ich.
    Ja, gab er zu.
    Undsonst? fragte ich. Gibt es sonst nichts?
    Nicht so intensiv, sagte er.
    Ich erwiderte, daß ich seine Leidenschaft nicht teile und auch nicht begreifen könne. Er entgegnete, daß er dies auch nicht erwarte. Es sei sein ganz privater Spaß, nur für ihn selbst.
    Also eine Art der heimlichen Vergnügungen? fragte ich.
    Er nickte. Der Vergleich belustigte ihn.
    Dann fragte ich, ob er so etwas wie einen Traumberuf habe. Ohne nachzudenken, antwortete er: Ja. Rennfahrer oder Stuntman. Stuntman für Verfolgungsjagden.
    Etwas gefährlich, meinte ich.
    Er lächelte: Ja, etwas lebendiger.
    Hast du keine Angst vor Unfällen? fragte ich.
    Es gibt Ärzte, entgegnete er und sah mich an.
    Ja, sagte ich, es gibt aber auch tödliche Unfälle.
    Er schwieg und zog die Mundwinkel nach unten. Nach einiger Zeit sagte er: Ich fürchte mich nicht davor zu sterben. Schlimmer ist es für mich, nicht zu leben. Nicht wirklich zu leben.
    Mir war vom Alkohol etwas übel. Ich lehnte mich zurück und schloß die Augen.
    Du bist verrückt, mein Junge, sagte ich. Dann schlief ich ein.
    Zu Hause küßte er mich, und ich sagte, daß er mir sehr fremd sei. Er wollte wissen, warum ich das sage, aber ich gab ihm keine Erklärungen. Ich konnte es nicht begründen, weil ich es selbst nicht verstand. Etwas war mir unbegreiflich an ihm, das spürte ich, und ich wußte, diese Distanz würde bleiben. Doch ich war zu betrunken, um darüber nachzudenken. Später dachte ich öfter daran, hatte aber
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