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Der Frauenmörder

Der Frauenmörder

Titel: Der Frauenmörder
Autoren: Hugo Bettauer
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ist gar nicht verschwunden, wurde nicht ermordet, sondern lebt und befindet sich in diesem Augenblick draußen auf dem Korridor, wo es seiner Vernehmung harrt."
    Der Tumult, der nach diesen Worten ausbrach, läßt sich nicht schildern. Die Richter, die Geschwornen, die Zuhörer sprangen auf, ein wüstes Durcheinander entstand, Rufe wie "Unerhört!", "Der Kerl ist wahnsinnig geworden!" wurden laut, der Präsident mußte sich heiser schreien, um endlich die Ruhe und Ordnung halbwegs wieder herzustellen. Und nun richteten sich sämtliche Blicke Hartwig zu, der mit gekreuzten Armen und von Purpurröte übergossenem Gesicht dasaß und hilflos verlegen lächelte. Der Präsident: "Ich begreife die Erregung aller Anwesenden, muß aber nun denn doch um volle Ruhe bitten, da ich sonst gezwungen wäre, den Saal räumen zu lassen." Der Staatsanwalt hielt nicht länger an sich, er fühlte das dringende Bedürfnis, ebenfalls seinen Senf dazuzugeben, und sagte mit knarrender Stimme:
    "Herr Kriminalkommissär, Ich muß Sie wohl nicht nachdrücklich daran erinnern, daß jedes Ihrer Worte unter Eid steht!"
    "Nein, das müssen Sie nicht, Herr Staatsanwalt." Stille Heiterkeit flog durch den Raum. Dengern sprach weiter:
    "Ich möchte jetzt feststellen, daß ich von dem Augenblick an, da mir die Polizei die Nachforschung nach dem vermutlichen Frauenmörder übertrug, von starken Bedenken gequält wurde. Gestatten Sie, daß ich zurückgreife. Fünf Berliner Vermieterinnen zeigten das Verschwinden ihrer Mieterinnen an. Die Namen der fünf sind von einer lächerlichen Häufigkeit. Namen, die in Berlin zu vielen Hunderten, im kleinsten deutschen Städtchen aber dutzendweise vorkommen. Gut, Zufall oder System des Mörders, sich Opfer mit solchen häufigen Namen auszusuchen. Wir ließen uns von den Frauen die verschwundenen Mädchen beschreiben. Es kam nicht viel dabei heraus. Braun, schwarz, rötlich, Zwicker — aber kein besonderes Merkmal. Vergebens wartete ich auf ein erlösendes Wort, auf eine greifbare Sonderheit, auf schielende Augen, ein Hinken, eine auffällige Nase, einen Mund, den man sich merkt. Die Größe, die Figur? fragten wir ungeduldig. Wieder farblose Antworten. Schlank, mittelschlank, das Fräulein Cohen sogar üppig. Alles schließlich Ansichtssache und veränderlich. Aber mittelgroß! Dieses Wort kam von jeder der fünf Vermieterinnen, jede war sich auch auf eindringliches Befragen darüber klar, daß die Verschwundene nicht besonders groß, nicht besonders klein, sondern mittelgroß gewesen sei.
    Das gab mir zu denken, erweckte zuerst unklare, kaum die Schwelle des Bewußtseins erreichende Zweifel in mir. Ich stellte mich an einem der nächsten Tage an der Ecke der Linden- und der Friedrichstraße auf und ließ eine volle Stunde hindurch die Menschen an mir vorbeigehen. Teilte immer je fünf vorbeieilende Frauen in eine Gruppe ein und kam zu folgendem Resultat: Hundert Fünfergruppen zogen an mir vorbei und nicht ein einziges Mal kam es vor, daß jede Gruppe aus mittelgroßen Frauen bestanden hätte. Immer mindestens eine Frau war sehr groß oder sehr klein. Immerhin — ich zerstreute gewaltsam meine Bedenken, ließ die Zweifel nicht aufkommen, gab dem Zufall, dieser bequemsten aller Ausreden, schuld.
    Noch etwas hatte mich stutzig gemacht. Die eine der Frauen betonte, daß ihre Mieterin auffallend kleine Füße gehabt habe, so kleine, daß das Dienstmädchen seine Verwunderung über die Kleinheit der Schuhe aussprach. Während dieser Erklärung lagen die zurückgebliebenen Gegenstände der Verschwundenen vor uns. Ich durchforschte rasch die Sachen des Mädchens mit den kleinen Fußen und stieß auf zerrissene Strümpfe Nummer zwei und auf elende, zertretene Halbschuhe, die mir sehr groß erschienen und nachher von einem Schuhmacher als Nummer einundvierzig erkannt wurden. Wie kam ein Mädchen mit auffallend kleinen Füßen zu solch auffallend großem Schuhwerk? Leider entwickelte ich meine Bedenken nicht logisch fort, sondern irrte ab und sagte mir: Diese Grete Möller ist ein armes Ding, das froh war, wenn ihm bei diesen teuren Zeiten einmal eine Dame ein Paar Schuhe schenkte. Heute sehe ich ein, daß die Schlußfolgerung leichtfertig und ein arger Verstoß gegen die Erkenntnis der weiblichen Mentalität war. Ich hätte mir sagen müssen, daß ein Mädchen mit kleinen Füßen eher hungern wird, als plumpe, große Schuhe tragen."
    Vereinzeltes Lachen unterbrach die Totenstille. Der Reichskanzler aber murmelte in tiefem
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