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Der Frauenmörder

Der Frauenmörder

Titel: Der Frauenmörder
Autoren: Hugo Bettauer
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Überzeugung, daß es auf diesen zwei Briefen nicht 3. VI., sondern 2. VI. hieß.
    Fiebernd vor Erregung, fuhr ich zur Postdirektion, um dort die Stempel untersuchen zu lassen. Die Postdirektion hat für solche Zwecke außerordentlich feine, scharfe Vergrößerungsapparate und andere Vorrichtungen. Herr Oberpostrat Wüllner nahm sich der Sache an und untersuchte die Briefumschläge bei scharfer Beleuchtung unter dem Vergrößerungsapparat. Um ihn nicht zu beeinflussen, hatte ich ihm nicht gesagt, um was es sich handle. Nach wenigen Minuten teilte er mir mit, daß die beiden strittigen Briefe ganz zweifellos am zweiten Juni innerhalb des Postdistriktes SW 8 aufgegeben worden seien. Mich ergriff ein Schwindel, ich mußte mich an einen Stuhl anhalten, um nicht zu taumeln. Bat, mich selbst überzeugen zu dürfen, und sah alsbald im grellen Licht und unter dreißigfacher Vergrößerung deutlich und klar die durch den Stempelaufdruck hervorgerufene Trübung und Vertiefung im Papier der Marke, deren Konturen einen 2. VI. darstellten.
    Es war also absolut jedem Zweifel entzogen, daß zwei der fünf Briefe am zweiten Juni, am Tage vor dem Erscheinen der Annonce, aufgegeben worden waren!"
    Dengern stieß diese Worte laut hervor, seine Ruhe schien ihn verlassen zu haben, und das Publikum war nicht mehr zu halten, brüllte auf, schrie, gestikulierte. Minuten vergingen, bevor Joachim von Dengern weitersprechen konnte.
    "Was bedeutete es, daß zwei der Verschwundenen die Annonce hatten beantworten können, bevor sie erschienen war? Einfach, daß sie im vollen Einverständnis mit dem angeblichen Mörder handelten, daß sie späterhin verschwinden wollten, daß die Briefe gefunden werden sollten und Hartwig als mutmaßlicher Mörder verhaftet werden mußte! Mit einem Schlag, blitzartig, im Bruchteil einer Sekunde stand nun alles weitere in mir fest:
    Nicht um einen fünffachen Mord handelte es sich, sondern um eine fünffache Komödie, zu dem Zweck gespielt, Thomas Hartwig aus dem Dunkel emporzureißen, ihn zum Mittelpunkt einer ungeheuren Sensation zu machen, die logischerweise bewirken mußte, daß sein Roman gelesen, sein Drama aufgeführt werde! Und nun verstand ich es, warum sich niemand von den Angehörigen der angeblichen Müller, Möller, Jensen, Pfeiffer und Cohen melden wollte, warum Hartwig weder gestand noch leugnete, warum er die Erstaufführung seines Dramas mit dem Prozeß zusammenfallen ließ, warum das Mädchen mit den kleinen Füßen große Schuhe zurückließ, warum alle fünf mittelgroß waren. Diese fünf waren eben ein und dieselbe Person und diese eine Person konnte niemand anderer sein als die Braut und Geliebte Hartwigs, Fräulein Lotte Fröhlich."
    Dengern wischte sich den Schweiß von der Stirn, ließ die Aufregung verebben, bevor er weitersprach.
    "Es wäre nun vielleicht meine Pflicht gewesen, alles dies der Staatsanwaltschaft mitzuteilen und den Prozeß zu verhindern. Da ich aber meine Pflicht nicht mechanisch auffasse, tat ich dies nicht, sondern wartete die Entwicklung des ersten Prozeßtages ab, weil dadurch die Affäre viel rascher zum Abschluß kommen konnte als durch eine Wiederaufnahme der Untersuchung und Vertagung des Prozesses. Und außerdem wollte ich mir nun auch die exakten Beweise für das, was ich wußte, verschaffen. Dazu benützte ich den gestrigen Abend. Mit Recht nahm ich an, daß Fräulein Fröhlich mit ihrer Wirtin der Erstaufführung des Dramas im Kleist-Theater beiwohnen würde. Kaum hatten sie sich vom Hause entfernt, als ich in die Wohnung eindrang und das Zimmer der jungen Dame gründlich untersuchte. Das ging rascher, als ich gehofft. In einem Schubfach fand ich braune, rötliche, tiefschwarze Chignons, einen Zwicker mit Fensterglas und Geflechte aus Fischbein und Stoff, die ersichtlicherweise einen üppigen Busen vortäuschen sollten, wie ihn die angebliche Selma Cohen gehabt hatte. Zwischen den Löschblättern der Schreibunterlage auf dem Schreibtisch aber lag eine ausgeschnittene Anzeige, in der der Trödler Goldlust in der Chausseestraße seinen Vorrat an Frauenkleidung, Wäsche, Schuhen und so weiter anpries. Ich steckte noch ein vorgefundenes Lichtbild des Fräuleins Fröhlich ein, sowie das französische Buch und fuhr zu dem Trödler. Auch hier klappte alles. Der Trödler erkannte nach dem Bilde sofort die auffallend schöne, junge Dame, die vor etlichen Monaten wahllos die schäbigsten alten Sachen sowie etliche alte, defekte Handkoffer und Taschen bei ihm gekauft und
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