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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld
Autoren: Richard Ford
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rauchigen Spiegel an. Es war ein anderes Bild als vor dem Anruf. Er sah körnig, mißgestimmt aus, die Lichter neben seinem Bett wirkten grell, aufdringlich, sein Sektglas war fast leer, der Abend, den er gerade verbracht hatte, war nicht erfolgreich verlaufen, nicht eben vielversprechend, sogar ein wenig demütigend. Er sah aus, als ob er drogensüchtig wäre. Das war das wahre Bild, dachte er. Später, das wußte er, würde er anders denken, würde die Ereignisse in einem freundlicheren, schmeichelhafteren Licht sehen. Seine Laune würde sich bessern, so wie sie es immer tat, und er würde sich durch irgend etwas, ganz gleich, was, sehr, sehr ermutigt fühlen. Aber dies war der Zeitpunkt, die wahren Zeichen zu lesen, dachte er, wenn Ebbe war und alles freilag – man selbst –, wie man wirklich, tatsächlich war. Das war das wirkliche Leben, und er machte sich nichts vor. Es war dieses Bild, auf das man reagieren mußte.
    Er saß trübsinnig auf dem Bett, trank den letzten Schluck warmen Champagner und dachte an Barbara, die allein zu Hause war und wahrscheinlich gerade etwas tat, um seine Ankunft am nächsten Nachmittag vorzubereiten – frische Blumen zu arrangieren oder schon jetzt ein Essen zu kochen, das er besonders gern mochte –, vielleicht war es das, was sie gerade getan hatte, als sie telefonierten, in welchem Fall er wirklich unrecht hatte, ärgerlich zu sein. Nachdem er eine Weile diesen Gedanken nachgehangen hatte, nahm er das Telefon und wählte Josephines Nummer. Es war zwei Uhr morgens. Er würde sie wecken, aber das wäre in Ordnung. Sie würde sich freuen, daß er es getan hatte. Er würde ihr die Wahrheit sagen – daß er sie einfach anrufen mußte, daß er an sie dachte, daß er wünschte, sie wäre hier bei ihm, daß er sie bereits vermißte, daß an dieser Sache mehr war, als es schien. Aber als er ihre Nummer wählte, war besetzt. Und es war auch nach fünf Minuten besetzt. Und nach fünfzehn Minuten. Und nach dreißig. Und dann knipste er die grelle Nachttischlampe neben dem Bett aus, legte den Kopf auf das frischbezogene Kissen und fiel schnell in den Schlaf.

    4 Als er in der Nähe des Odéon mit entschlossenem Schritt die kleine Straße entlangging, die am Palais du Luxembourg endete, merkte Austin auf einmal, daß er mit leeren Händen bei Josephine eintreffen würde – ein klarer Fehler. Vielleicht wäre ein bunter Blumenstrauß eine gute Idee oder ein Spielzeug, ein kleines Geschenk, das Leo, auf den er für eine Stunde aufpassen sollte, während Josephine bei ihrem Anwalt war, ermuntern würde, ihn zu mögen. Leo war vier Jahre alt und übellaunig und verwöhnt. Er war blaß und hatte weiches, spärlich-dünnes dunkles Haar und dunkle, durchdringende Augen, und wenn er weinte – was häufig geschah –, weinte er laut und hatte die Angewohnheit, den Mund zu öffnen und ihn offenzulassen, damit soviel Lärm wie möglich herausdringen konnte, eine Gewohnheit, die die affenähnlichen Züge seines Gesichts betonte, die er mitunter mit Josephine zu teilen schien. Austin hatte Dokumentarfilme im Fernsehen gesehen, die Affen dabei zeigten, wie sie genau das gleiche taten, während sie auf ihren Bäumen saßen – immer, so schien es, gerade dann, wenn das Tageslicht schwand und eine weitere unwägbare Nacht anzubrechen begann. Möglicherweise war Leos Leben auch so. »Es ist wegen meiner Scheidung von seinem Vater«, hatte Josephine damals nüchtern gesagt, als er in ihrem Appartement gewesen war, damals, als sie Jazz gehört hatten und er dagesessen und das goldene Sonnenlicht auf den Karniesen des gegenüberliegenden Gebäudes bewundert hatte. »Es ist zu schwer für ihn. Er ist ein Kind. Aber …« Sie zuckte mit den Schultern und begann, über etwas anderes nachzudenken.
    Austin hatte keinen Blumenladen entdeckt, also überquerte er die Straße und ging zu einem schicken kleinen Geschäft, das Holzspielzeug im Schaufenster hatte: hölzerne Laster in leuchtenden Farben, von ausgeklügeltem akribischem Entwurf. Holztiere in leuchtenden Farben – Enten und Kaninchen und Schweine in grotesker Detailtreue. Sogar einen französischen Bauern mit rotem Halstuch und schwarzem Barett. Ein ganzes hölzernes Bauernhaus war sorgfältig nachgebaut mit Dachschindeln, kleinen Mansardenfenstern und quergeteilten Türen und kostete ein Vermögen – mehr, als er bezahlen wollte. Kinder waren in Ordnung, aber er hatte nie selbst welche haben wollen, und Barbara auch nicht. Es war der erste
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