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Der Frauenheld

Der Frauenheld

Titel: Der Frauenheld
Autoren: Richard Ford
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Liebespaar, würden sofort damit anfangen, mehr Zeit miteinander zu verbringen, würden sehen, ob es zwischen ihnen etwas zu sehen gab. Austin verspürte den heftigen Drang, ihr genau diese Dinge zu sagen, während sie schweigend bei ihrem Champagner saßen, einfach vorzupreschen, das alles von seiner Seite auf den Tisch zu legen und zu sehen, womit sie antwortete. Aber der Lärm in dem Restaurant war zu groß. Einmal setzte er an zu sprechen, aber die Worte klangen, als seien sie zu laut gesagt worden. Und solche Worte waren dies eben nicht. Es waren wichtige Worte, die man voller Respekt sprechen mußte, sogar ernst, mit ihrer unvermeidlichen, gleichsam eingebauten Andeutung von Verlust.
    Aber diese Worte gingen ihm nicht aus dem Kopf, während sie die kurze Strecke zur rue de Mezières zurückfuhr, zur Straßenecke, wo sie ihn am ersten Abend abgesetzt hatte. Die Worte schienen den rechten Moment verpaßt zu haben. Sie brauchten einen anderen Kontext, eine gehaltvollere Situation. Sie im Dunkeln, in einem schäbigen Opel bei laufendem Motor, im Moment des Abschieds zu sagen, würde ihnen eine sentimale Gewichtigkeit verleihen, die sie nicht haben sollten, da sie, trotz des ihnen gleichsam eingebauten Kummers, von Optimismus zeugten.
    Als Josephine anhielt, das Tor zum Hotel war nur ein paar Schritte entfernt, ließ sie die Hände auf dem Lenkrad liegen und starrte geradeaus, genauso wie zwei Abende zuvor. Sie bot ihm nichts an, kein Wort, keine Geste, nicht einmal einen Blick. Für sie war dieser Abend – dieser letzte Abend, der Abend, bevor Austin wieder nach Chicago flog, nach Hause, zu seiner Frau, um nie wiederzukehren und niemals wieder da anzuknüpfen, wo sie in diesem Augenblick waren –, war dieser Abend ganz wie der erste, ein Abend, den Josephine in dem Augenblick vergessen würde, in dem die Autotür zuschlug und ihre Scheinwerfer in die leere Straße hineinbogen, die sie nach Hause führte.
    Austin sah aus ihrem Fenster auf das rustikale hölzerne Hoteltor, hinter dem ein mit Farnen bewachsener, auf Fußhöhe beleuchteter Innenhof lag, dann die doppelten Glastüren, dann die Lobby, dann die Treppe, die zwei Stockwerke hoch zu seinem kleinen Zimmer führte. Er wollte sie dorthin mitnehmen, die Türe zuschließen, die Vorhänge zuziehen und sie bis zum Morgen trauervoll lieben, eigentlich, bis er ein Taxi zum Flughafen bestellen mußte. Aber das wäre das Falsche gewesen, nachdem sie ohne Komplikationen soweit gekommen waren, ohne größere Verwirrung, ohne daß sie beide Verletzungen erlitten hätten. Man konnte verletzt werden, wenn man sich mit ihm einließ, dachte Austin. Sie wußten es beide, und man mußte es nicht aussprechen. Sie dachte sowieso nicht daran, mit ihm zu schlafen. Für sie hieß nein wirklich nein. Und das waren in diesem Fall die besten Regeln.
    Austin saß da, die Hände im Schoß, und sagte nichts. Genauso hatte er sich diesen Augenblick des Abschieds vorgestellt. Melancholisch in seinem Fall. Kalt in ihrem. Er hatte nicht vor, sich hinüberzubeugen und ihre Hände zu nehmen, wie er es zuvor getan hatte. So etwas wurde zur Schauspielerei, wenn man es ein zweites Mal tat, und er hatte sie bereits viele Male so berührt – liebevoll, unschuldig, ohne mehr erreichen zu wollen als vielleicht einen kurzen, zarten Kuß. Er würde bei diesem Mal – dem letzten Mal – alles so geschehen lassen, wie sie es wollte, und nicht wie er.
    Er wartete. Er dachte, daß Josephine Belliard vielleicht etwas sagen würde, etwas Ironisches oder Kluges oder Kaltes oder ganz Gewöhnliches, etwas, was ihre kleine Regel des Schweigens bräche und worauf er dann antworten und vielleicht ein letztes gutes Wort äußern könnte, etwas, was sie beide durcheinanderbringen und aufwühlen und mit der Gewißheit zurücklassen würde, daß ein kurzer, aber wichtiger Moment nicht versäumt worden war. Aber sie sagte nichts. Sie wollte auf keinen Fall, daß es etwas gab, was sie veranlassen würde, sich anders zu verhalten als gewöhnlich. Und Austin wußte, daß, wenn er, ohne auch nur auf Wiedersehen zu sagen, einfach ausstiege, sie sofort wegfahren würde. Vielleicht hatte ihr Ehemann deshalb ein Buch über sie geschrieben, dachte Austin. Zumindest war er nun sicher, daß er ihre Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte.
    Josephine schien darauf zu warten, daß der Sitz neben ihr leer wurde. Austin schaute im Dunkel des Autos zu ihr hinüber, und sie sah ihn kurz an, sagte aber nichts. Das war ärgerlich,
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