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Der Fluch

Der Fluch

Titel: Der Fluch
Autoren: Krystyna Kuhn
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Gespräch nicht mehr folgen. Aber offensichtlich hat Superintendent Harper bereits die nächste Frage gestellt. Er sieht mich stirnrunzelnd an.
    »Entschuldigen Sie, was haben Sie gesagt?«
    »Um wie viel Uhr waren Sie genau verabredet?«
    »Um acht.«
    »Wie lange braucht man, um vom College zur Hütte zu kommen?«
    Er kennt die Antwort, aber er will sie immer wieder von mir hören.
    »Eine halbe Stunde vielleicht.«
    »Und wann waren sie dort?«
    »Um halb neun.«
    »Sie kamen also dreißig Minuten zu spät?«
    »Ja.«
    Während ich nicke, jagt mir nicht zum ersten Mal der Gedanke durch den Kopf, ich könnte schuld sein. Vielleicht, wenn ich pünktlich gewesen wäre … und dann … ich denke daran, was die Tage zuvor passiert ist. Soll ich davon erzählen? Ich entscheide mich dagegen. Eine unbestimmte Angst hält mich zurück. Nicht ich bin es, die tot ist, aber was, wenn …
    »Warum kamen Sie zu spät, Miss Gardner?«
    »Ich habe noch jemanden unterwegs getroffen.«
    »Wen?«
    »George Tudor.«
    »Ach ja, das haben Sie ja bereits zu Protokoll gegeben. Er hat sich mit ihnen unterhalten. Worüber?«
    »Nichts Besonderes.«
    Noch ein Punkt, in dem ich nicht die Wahrheit sage. Ich fühle mich gefangen in diesem Gespinst aus Lügen und kann mich nicht mehr daraus befreien. Es ist alles zu kompliziert. Mom, denke ich, und wünsche jetzt doch, sie wäre hier.
    Aber ich kann mich nicht immer an meine Mutter klammern und sie alles für mich regeln lassen. Ich muss lernen, selbstständig zu werden.
    »Und deswegen haben Sie ihre Freundin allein dort draußen warten lassen?«
    »Sie war nicht meine Freundin.« Noch während ich es sage, weiß ich, dass es ein Fehler ist.
    »Ach ja? Interessant. Sie war gar nicht ihre Freundin. Aber Sie teilen ein Geheimnis.«
    Mrs Jones räuspert sich und blickt mich mit ihren schmalen Augen besorgt an. Dann holt sie tief Luft und wendet sich an Harper: »Können Sie das Gespräch nicht morgen fortsetzen?« Superintendent Harper ignoriert ihren Einwand erneut.
    »Diese Hütte? Ist sie ein üblicher Treffpunkt für sie oder andere Studenten?«
    Warum fragt er, wenn er die Antwort bereits kennt?
    Ich schüttele den Kopf. »Nein, ich glaube nicht.«
    »Und dann wollten Sie sich ausgerechnet dort treffen? Das hat sie nicht stutzig gemacht?«
    Ich antworte nicht.
    »Wer hat den Treffpunkt vorgeschlagen?«
    »Muriel.«
    »Sie schlug also diesen Treffpunkt vor, der außerhalb des Collegegeländes liegt. In einem Gebiet, das laut Collegeverwaltung nicht betreten werden darf? Zu einer Uhrzeit, wo es da oben schon dunkel ist. Das klingt in meinen Ohren ziemlich absurd.«
    »Muriel, sie hatte diese Hütte wohl kurz vorher entdeckt und sie … sie wollte offenbar ungestört sein.«
    »Warum? Ach ja, ich weiß schon … das Geheimnis.«
    »Ja.«
    »Das sie jetzt immer noch nicht kennen.«
    Ich zögere kurz. Nur den Bruchteil einer Sekunde. Gott sei Dank bemerkt er es nicht.
    »Was könnte das gewesen sein, was so wichtig war? Was glauben Sie persönlich?«
    »Ich sage doch, ich habe keine Ahnung.«
    Meine Zähne schlagen aufeinander, während ich lüge. Inzwischen weiß ich, dass ich das hier nicht durchstehe. Mom hat recht. Ich komme allein einfach noch nicht klar. Harper beugt sich mit der nächsten Frage nach vorne. »Sie sagen, Muriel Anderson war noch nicht tot, als sie bei ihr ankamen …«
    Ich nicke.
    »Und was …«, er macht eine Pause, »was haben Sie getan, um ihr zu helfen?«
    Nichts. Ich habe nichts getan. Nur gewartet, bis sie gestorben ist.
    »Ich … ich habe David angerufen.«
    »David?«
    »David Freeman, er ist in meinem Jahrgang.«
    »Warum ihn? Warum nicht gleich den Notruf?«
    »Ich weiß es nicht … Vielleicht, weil David näher war?«
    »Weil er näher war?«
    Warum muss er immer alles wiederholen? Dadurch klingt das, was ich sage, noch einmal so absurd. Konzentrier dich, Rose. Du musst dich konzentrieren. Der Grat zwischen Lüge und Wahrheit ist ziemlich schmal.
    »Ich … ich wollte ja den collegeeigenen Sicherheitsdienst anrufen. Aber ich hatte die Nummer nicht auf meinem Handy gespeichert.«
    Harper schüttelt den Kopf. »Ihnen war doch klar, dass ihr Freund … dass Mr Freeman auf einem Ausflug war und nicht im College. Sie wussten ganz genau, dass er ihnen gar nicht helfen konnte. Also noch mal: Warum haben Sie nicht den Notruf gewählt?«
    »Ich … ich war verwirrt. Ich wollte einfach nur mit jemandem reden. Jemand, den ich kenne und der mir sagen konnte, was zu tun
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