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Der Fluch von Melaten

Der Fluch von Melaten

Titel: Der Fluch von Melaten
Autoren: Jason Dark
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konnten.
    Wir blieben auf den schmalen Pfaden, und meine Begleiterin erwies sich als ausgezeichnete Führerin, die Melaten auch im Dunkeln kannte. So gingen wir ohne zu stolpern voran. Ließen Kreuzungen hinter uns, sahen die Figuren auf den Gräbern, die sich in oft schaurige Gestalten verwandelt hatten und an manchen Stellen glänzten, als wären sie mit Öl eingeschmiert worden.
    Um uns herum war es nie ganz still, Geräusche gab es immer. Sie wurden allerdings nicht von fremden Besuchern hinterlassen, sondern von den Tieren der Nacht.
    Manchmal raschelte es über uns im Laub der Bäume, wenn sich von dort ein Vogel löste und auf Beutefang ging. Hier lebten Uhus und auch Eulen, aber keiner ihrer unheimlichen Rufe wehte über das Gelände hinweg. Ich hatte meine kleine Lampe hervorgeholt. Hin und wieder ließ ich den Strahl aufleuchten, aber ich sorgte stets dafür, dass er nicht zu hell und verräterisch war, und deckte ihn immer wieder mit meiner Hand ab.
    Wir sprachen kein Wort. Jeder von uns wusste genau, worauf es ankam. Es war nicht gut, wenn wir uns ablenkten. Die volle Konzentration auf die Umgebung war wichtig, und wir lauschten auch auf irgendwelche Stimmen.
    Das war noch nicht der Fall. Manchmal schwollen andere Geräusche auf und ab. Sie drangen von jenseits der Mauer, wo auch die Haltestelle Melaten lag.
    Mal ein kurzes Hupen, mal eine Stimme, dann pendelte sich der Geräuschpegel wieder ein.
    Der Himmel über uns war dunkel, aber auch mit leichten Wolken bedeckt. Sie sahen aus wie skurrile Formen, die ein Künstler gegen das Firmament gedrückt hatte. Wo es Lücken gab, funkelte hin und wieder ein Stern auf.
    Plötzlich blieb ich stehen. Es war mehr Zufall, dass ich nach links geschaut hatte. Auch die Dunkelheit konnte das Bild nicht verbergen, das sich mir bot.
    Hier hatte jemand für ein besonders schauriges Grabmal gesorgt, denn ich sah die Gestalt des Sensenmanns, der in ein Gewand aus Stein eingehüllt war und in einer Hand die Sanduhr, das Stundenglas des Lebens, hielt.
    Der Anblick riss mich von meiner eigentlichen Aufgabe weg, so dass ich unwillkürlich stehen blieb.
    Petra verharrte ebenfalls. Im Flüsterton sagte sie: »Diese Gestalt gibt es schon seit dem Jahre 1904. Früher hatte der Tod noch eine Sense besessen, aber die ist ihm abgebrochen worden. Leider ist es nicht das einzige Grabmal, das zerstört wurde. Es gibt immer wieder Idioten auf dieser Welt, und sie wachsen auch leider nach.«
    Ich nickte nur und warf einen letzten Blick auf den Tod, dessen steinernes Knochengesicht mich angrinste, als wollte er mir klar machen, dass durch mein Stundenglas bereits der letzte Sand rann und ich den Morgen nicht mehr erleben würde.
    Petra war schon einige Schritte vorgegangen, und ich hatte sie bald erreicht. »Es ist nicht mehr weit«, flüsterte sie mir zu, »wir können auf dem Weg hier bleiben.«
    »Gut.«
    Ich merkte, dass sich in mir die Spannung steigerte.
    Wieder huschten Vögel durch die Baumkronen, und abermals zuckte ich zusammen. Ich dachte dabei automatisch an die fliegenden Menschen, aber von ihnen hatte ich bisher auf diesem Friedhof noch nichts gesehen. Ich hoffte nicht, dass wir uns irrten, was diesen Ort hier auf Melaten anbetraf. Wenn die drei Zwitterwesen Kinder raubten und sie an einen anderen Platz schafften, hatten wir schlechte Karten.
    Noch bestand Hoffnung, und noch gingen wir weiter dem Ziel entgegen. Es lag nicht mehr weit entfernt, und deshalb hütete ich mich davor, meine Lampe einzuschalten, das Licht wäre einfach zu verräterisch gewesen.
    Auf der anderen Seite mussten wir auch damit rechnen, dass uns die Wesen längst bemerkt hatten, aber wir verhielten uns trotzdem ruhig und setzten den Weg fort. Leise, keine überhasteten Bewegungen. Zu beiden Seiten lagen die Gräber, und wenn der Wind das Laub bewegte, dann entstand ein Rascheln. Es hörte sich unheimlich an. Wie Flüsterstimmen aus dem Jenseits.
    Ich sah, dass Petra Schlomann stehen blieb und auf mich wartete. Nach drei Schritten erkannte ich den Grund. Der schmale Pfad war zu Ende. Er lief in das Gelände aus, das vor der Kapelle lag. Die kleine Kirche selbst sah aus wie ein schwarzer Schatten, der als Klumpen auf dem Gelände stand, als wollte er für alle Zeiten dort Wache halten.
    Sie brauchte nichts zu sagen und schaute mich nur an. Ich wartete eine Weile, weil ich mich zunächst mit der näheren Umgebung vertraut machen wollte, aber es war noch nichts zu sehen. Weder auf dem Boden noch über uns.
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