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Der Fluch der Hebamme

Titel: Der Fluch der Hebamme
Autoren: Sabine Ebert
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Antiochia hatten sie ein Gerät mitgebracht, eine Art Hülse, die über den Schaft und die Enden der Pfeilspitze geschoben wurde, damit die Wunde nicht noch mehr aufriss, wenn der Pfeil entfernt wurde. Irgendetwas würde ihnen schon einfallen, und mit Geduld und Gebeten und Gottes Fürsorge würde es wieder heilen.
    In einem Anfall von Verzweiflung brüllte Thomas den ersten Krankenpfleger an, der ihnen entgegenkam, er solle gefälligst Bruder Notker holen. Dann betteten sie Rolands Körper vorsichtig auf den Boden.
    Notker kam sofort. Mit geschultem Blick schätzte er ab, wie tief der Pfeil eingedrungen sein mochte. Doch das helle, schaumige Blut im Gesicht des Verletzten sagte ihm, dass die Lunge durchbohrt sein musste.
    »Betet für Euern Freund!«, sagte er zu Thomas, der widerspruchslos niederkniete und in aller Eile den Allmächtigen Vater im Himmel und den Schutzpatron der Ritter um Beistand bat. Doch dann ließ er sich eine Zange bringen, löste die Ringe um den Pfeilschaft und schnitt mit seinem Messer den Gambeson so weit auf, dass Rolands halber Rücken bloßlag.
    »Ein Panzerbrecher«, sagte er leise – einer jener Pfeile mit besonders geschmiedeten Spitzen, die sich durch die Rüstung der fränkischen Ritter bohren konnten. Und obwohl er es nicht wahrhaben wollte, sah er, was auch Bruder Notker bereits gesehen hatte.
    Er beugte sein Gesicht ganz tief herab zu dem Freund, in dem kaum noch eine Spur Leben steckte. Er legte ihm die Hand auf den Kopf und sagte: »Ich bin bei dir …«
    Dann erstickten ihm die Worte im Hals vor Kummer.
    »Sag Clara nichts …«, röchelte Roland, und es hatte den Anschein, als ob ihn diese Worte die letzte Lebenskraft kosteten. Dann wurde sein Blick starr und glanzlos.
     
    Am nächsten Tag ergab sich Akkon.
    Für eine große Summe Gold, die Freilassung von fünfzehnhundert christlichen Gefangenen und die Rückgabe des Wahren Kreuzes – das waren die Bedingungen, unter denen die Belagerten die Gefangenschaft, aber nicht der Tod erwarten sollte.
    Mit stoischen Mienen, von Hunger und Müdigkeit gezeichnet, zogen die Verteidiger der Stadt an den Siegern vorbei, auf den Ort zu, an dem sie festgehalten würden, bis weitere Einzelheiten verhandelt waren.
    Dann zog das fränkische Heer in die so lange umkämpfte Stadt, allen voran Konrad von Montferrat mit seinem Banner und den Bannern der beiden Könige: der blauen Standarte mit den goldenen Lilien Frankreichs und dem roten Löwen von Anjou auf weißem Grund, mit dem Richard in den Krieg gezogen war.
    Die Könige bezogen getrennt Quartier – im früheren Königspalast im Norden der Stadt und in der einstigen Templerburg an der Spitze der Halbinsel.
     
    Thomas bekam nichts von alldem mit, er hielt Totenwache am Leichnam seines Freundes. Mit Notkers Hilfe hatte er den Pfeil aus dem leblosen Körper gezogen, den Freund gewaschen und ihm wieder seine Rüstung angelegt. Roland hätte es so gewollt. Seine gefalteten Hände umklammerten den Griff des Schwertes.
    Bruder Notker hatte versucht, ihm Trost spenden zu wollen, aber Thomas hatte ihn mit höflichen, aber entschiedenen Worten gebeten, ihn allein zu lassen.
    Der Benediktiner wagte es nicht, zu widersprechen. Er hatte ohnehin genug zu tun angesichts der vielen Verletzten, und auch er brauchte jetzt dringend einen Moment des Alleinseins, um mit Gott Zwiesprache zu halten und ein gutes Wort für diesen mutigen jungen Mann einzulegen, der jetzt an die Himmelspforte klopfen würde.
    Die Abenddämmerung brach herein; also musste Thomas wohl einen ganzen Tag so erstarrt dagehockt haben, als jemand neben ihn trat. Er wollte nicht aufblicken, aber an den fein gearbeiteten Stiefeln erkannte er den Besucher, was ihn verpflichtete, sich dem Grafen von Weißenfels zuzuwenden und vor ihm niederzuknien. Mit Sicherheit würde er jetzt zur Ordnung gerufen, weil er den ganzen Tag lang seinen Dienst versäumt hatte.
    »Er war ein tapferer Mann, ein wahrer Ritter«, sagte Dietrich stattdessen, und seine Miene war aufgewühlt, voller Zorn, Trauer und maßloser Enttäuschung – so, wie Thomas ihn noch nie gesehen hatte. »Wir können noch Totenwache halten bis morgen früh und ihn auf geweihtem Boden begraben. Dann ziehen wir ab.«
    »Nach Jerusalem?«
    »Nein. Nach Hause.«
    Vergeblich bemühte sich Thomas, den Sinn dieser Worte zu verstehen.
    »Es gab Streit unter den Heerführern«, erklärte Dietrich mit verächtlicher Stimme. »Leopold von Österreich als Anführer des deutschen
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