Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger
Autoren: Willy Russell
Vom Netzwerk:
wieder losging: ein grauhaariger Mann mittleren Alters, der bei Smiths-Titeln mitsingt und mir erzählt, er habe einen Sohn in New York! Vielleicht hat er ja Malcolm gemeint! Vielleicht war es ja Malcolms Dad, der früher bei den Beach Boys mitgespielt hat!
    Aber Malcolm gab es doch gar nicht, oder? Malcolm hatte doch nie existiert. Und es hatte auch nie einen Amerikaner gegeben, der mit meiner Gitarre im Kofferraum weggefahren war. Wahrscheinlich hatte ich sie irgendwo vergessen und wusste nur nicht mehr, wo.
    Es ging alles wieder von vorn los! Deshalb musste ich es unbedingt nach Hause schaffen, bevor es zu spät war; bevor ich nicht mehr wusste, wer ich war. Aber ich hatte solche Kopfschmerzen, so rasende Kopfschmerzen, dass ich nicht wagte, die Augen zu öffnen. Und Geld hatte ich auch keins, ich konnte ja gar nicht heim. Aber ich musste es versuchen!
    Ich raffte mich auf und schleppte mich weiter. Ich taumelte an der Bretterwand entlang bis zum Ende der Gasse, bis zu der Straße, die zu den Docks runterführte. Ich erreichte die Ampeln, die Ampeln mit dem gelben Baustellensignal. Aber ich konnte das alles nicht ertragen, den Verkehr, den Verkehrslärm, den Abgasgestank der Pkws und Lastwagen und die Hitze, die Hitze, die vom Himmel runterbrannte und vom Boden aufstieg, die Hitze. Ich musste mich wieder setzen, irgendwohin, einfach da, mitten auf dem Gehweg, irgendwo, ganz egal, an den Ampelpfosten gelehnt, die Augen geschlossen, wegen dem Licht, und mir brummte der Schädel und mir dröhnte der Lärm in den Ohren, der Verkehrslärm, der Lärm der Reifen, das Reifenquietschen, das donnernde Dröhnen und dann die Stimme, die amerikanische Stimme, die schrie, rief, fragte: »Hey, Junge! … Raymond?«
    »Geh weg!«, rief ich der Stimme zu, presste die Hände auf die Ohren und begann vor mich hinzuplappern, damit ich sie nicht mehr hörte, die Stimme in meinem Kopf … diese Stimme, die jetzt sagte: »Mein Gott! Was ist denn passiert? Raymond? Komm, Junge, na komm … es ist okay, es ist alles okay.«
    »Gehweg!«, sagte ich zu der Stimme in meinem Kopf. »Geh weg geh weg geh weg … lass mich in Ruhe lass mich in Ruhe geh weg …«
    Aber sie ging nicht weg. Sie war immer noch da, immer noch in meinem Kopf und fragte wieder: »Mein Gott, was ist denn mit dir passiert? Kannst du nicht reden … kannst du mich hören? Kannst du mich hören?»
    Da fühlte ich die Hände! Hände, die meine Hände sanft von den Ohren wegzogen, und dann sagte die Stimme: »Kannst du die Augen aufmachen? Versuch’s doch mal! Bitte …«
    Und ich dachte, dadurch würde es vielleicht weggehen, wie manchmal in Swintonfield, wenn mich jemand gepackt hatte, zum Beispiel der Mann mit dem verkehrt rum sitzenden Kopf, aber wenn ich dann die Augen aufmachte, war er nicht mehr da.
    Doch diesmal funktionierte es nicht. Er war nämlich immer noch da, Malcolms Dad. Er kniete vor mir und tat so, als existiere er wirklich, als kenne er mich.
    »Ich hab nach dir gesucht!«, sagte er. »Ich hatte ja keine Ahnung, wo ich dich finden kann. Als ich den Kofferraum aufgemacht hab, lag da noch deine Gitarre drin. Ich hab nach dir gesucht. Was ist denn passiert? Du hast ja ganz andere Sachen an! Ich wär fast an dir vobeigefahren!«
    Ich runzelte die Stirn. Ich blinzelte und sah ihn wieder an. Er wirkte richtig ängstlich und bekümmert. Sein Bick war voller Sorge, als er sagte: »Mein Gott, du bist ja in einem schrecklichen Zustand.«
    Morrissey, da bekam ich Zweifel, ob ich ihn mir nur einbildete! Da hoffte ich plötzlich, dass es ihn wirklich gab!
    Deshalb nickte ich, als er mich fragte: »Meinst du, du kannst aufstehen?«
    Ich schob mich mühsam am Ampelpfosten hoch und stand zitternd da. Ich zitterte trotz der brüllenden Hitze. Der Mann lächelte mich an. »Hey!«, sagte er. »Bald geht’s dir wieder besser, ganz bestimmt!«
    Da spürte ich ein Brennen, weil mir eine salzige Träne über die Wange rollte; und jetzt war es mir ganz egal, ob der Mann existierte oder nicht, weil es so schön war, dass es da jemanden gab, der mich anlächelte, der nett zu mir war, der meine Reisetasche aufhob, mich stützte und wissen wollte, ob ich denn die paar Schritte bis zur nächsten Ecke schaffte, wo der Wagen stand.
    Ich setzte mich in Bewegung, folgte ihm und wünschte mir nur, mein Kopf würde nicht so furchtbar wehtun, meine Haut würde nicht so schrecklich brennen, meine Beine würden sich nicht so schlaff anfühlen; ich wünschte, der Mann möge so real sein wie
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher