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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger
Autoren: Willy Russell
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tut und auf dem nie herumgehackt wird. Erinnerst du dich noch an jenen Sommer, Mam? Jenen ersten Sommer, in dem niemand mehr mit mir spielen wollte und ich auf dem Freizeitgelände nicht mehr zelten durfte und nicht mehr Fußball, Fangen und Verstecken spielen konnte? Du hast damals gesagt, es bricht dir das Herz, das mitanzusehen; du hast gesagt, du könntest es kaum erwarten, eines Tages aufzublicken und zu sehen, wie ich wieder sorglos mit den andern über den Rasen stürme und ganz und gar dazugehöre.
    Ich weiß, es hat ewig gedauert, Mam. Und ich weiß, du hattest die Hoffnung eigentlich schon aufgegeben und wolltest gar nicht mehr aufblicken. Aber Mam, wenn du mich jetzt sehen könntest, wie ich hier unter den Holzbalken der umgebauten Scheune sitze und diesen Brief an dich schreibe, und Jo sitzt mir am Tisch gegenüber und wir kritzeln beide vor uns hin und sind ganz ins Schreiben vertieft und doch gibt jeder dem andern so was wie Kraft – wenn du das erleben könntest, Mam, dann wär das sicher genauso, als würdest du mich wieder über den Rasen stürmen sehen, wo ich ganz und gar dazugehört habe.
    Mam, so fühl ich mich hier; als ob ich endlich nicht mehr fehl am Platz sei. Wenn du es doch sehen könntest, Mam, das Haus und die Scheune und so weiter. Du hast doch diese alte Keksdose, in der du deine privaten Sachen und deinen ganzen Schmuck aufbewahrst, die Dose mit der gemalten Landschaft drauf, mit dem Haus in der Ferne und den üppig wogenden Feldern. Genauso ist es hier, Mam. Das Haus steht ganz allein inmitten der Felder und man kommt nur über einen langen staubigen Pfad hin. Manchmal gehen wir spazieren, über die Felder zum Fluss runter. Der Fluss führt in dieser Jahreszeit ziemlich wenig Wasser und durch die Hitzewelle ist er noch seichter als sonst. Jo geht noch weiter runter, bis zu den Pappeln, wo ein tiefer Teich liegt, und sie sagt, das Wasser ist dort so kalt, dass es wahrscheinlich von einer unterirdischen Quelle gespeist wird, und deshalb bleibt es auch so tief, obwohl der restliche Fluss fast ausgetrocknet ist. Ich will da auch mal hin zum Schwimmen, sobald ich kann. Aber ich muss noch warten, wegen meinem Rücken und meinen Schultern.
    Ich war nämlich ein bisschen krank, Mam.
    Aber mach dir keine Sorgen, jetzt geht’s mir wieder gut. Und ich mein auch nicht so krank wie früher mal! Nur körperlich, Mam. Als ich nämlich auf der Baustelle war und in der Sonne geschuftet hab, da hab ich nicht gewusst, dass es einer der heißesten Tage des Jahres war. Tom meint, wenn ich einen Hut oder wenigstens ein Taschentuch auf dem Kopf gehabt hätte, wär es nicht ganz so schlimm ausgegangen. Er sagt, dann hätt ich zwar trotzdem einen Sonnenbrand abgekriegt und würd mich jetzt auch schälen; aber ich hätt nicht so irre geredet und phantasiert, wegen des Hitzschlags.
    Ich wusste erst gar nicht, dass Tom Arzt ist. Aber im normalen Leben ist er das. Und deshalb hat mich Ralph, nachdem er mich unten bei den Fischdocks gefunden hatte, gleich hergebracht, weil er wusste, Tom kann mir helfen. Tom hat gesagt, das kommt von den UV-Strahlen – wenn der Kopf zu lange der Sonne ausgesetzt ist, dringt das ultraviolette Licht direkt in den Schädel und das ist dann ein bisschen so, als wär ein Teil des Gehirns in die Mikrowelle geraten. Deshalb wird man ganz benommen und redet lauter wirres Zeug.
    Aber jetzt geht’s mir wieder gut, Mam! Mein Gehirn funktioniert wieder ganz normal. Meine Haut ist zwar noch wund und schält sich, aber das ist nicht so schlimm – nur dass es mich dran hindert, mit Jo schwimmen zu gehen. Meine Arme und mein Rücken sehen fürchterlich aus, Mam, deshalb lass ich immer mein Hemd an. Ich hab Jo gesagt, ich könne noch nicht ins Wasser, weil es mir noch zu wehtut. Aber der wahre Grund ist, dass sie nicht sehen soll, wie sich meine Haut schält und ablöst, weil das ganz schrecklich aussieht. Am Ende wird ihr noch schlecht! So wie mir immer schlecht geworden ist, wenn Onkel Jason und Tante Fay, dieses fürchterliche Paar, wenn die von den Kanarischen oder Westindischen Inseln zurückgekommen sind, so braun gebrannt, als hätt man sie gegrillt, und wenn sich dann Onkel Jasons riesige Nase schälte und die Teilchen und Fetzen in seinen Tee fielen und er ihn trotzdem weitertrank!
    Deshalb soll Jo nicht sehen, wie ich mich überall schäle. Ich weiß, eigentlich ist es albern, dass ich so etwas vor ihr verbergen will, nachdem ich erfahren hab, was Jo alles durchgemacht hat. Ich
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