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Der Fliegenfaenger

Der Fliegenfaenger

Titel: Der Fliegenfaenger
Autoren: Willy Russell
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schon zur selben Erkenntnis gelangt!«
    Wir überquerten den Durchlass zwischen den Weiden und balancierten vorsichtig über das Gitter, damit wir nicht mit dem Fuß hängen blieben. Sie trug rote Sandalen. Toll sahen die aus. Und dabei hatte ich bis jetzt noch nie auf Sandalen geachtet.
    »Gibst du’s also auf?«, fragte sie. »Schreibst du keine Songs mehr?«
    Ich überlegte. Dann sagte ich seufzend: »Nein, ich glaube, nicht. Zumindest eine Weile; bis ich schreiben kann, ohne innerlich ständig Morrissey zu hören.«
    Sie sah mich an. Dann meinte sie: »Stehst du denn nicht mehr auf ihn?«
    Ich seufzte und dachte wieder angestrengt nach. Und dann sagte ich ihr die schreckliche Wahrheit: »Ich weiß es nicht.«
    Aber anscheinend verstand sie mich, denn sie erwiderte: »Das ist furchtbar, nicht? Wenn man so sehr auf jemanden steht wie du auf Morrissey und dann ist das Gefühl plötzlich nicht mehr da, nicht mehr so wie früher; es ist weg und du kannst dich noch so sehr danach sehnen, es kommt nicht mehr zurück.«
    Ich nickte. Wir liefen das Feld entlang, vorbei am ausgetrockneten Sumpf. Es war herrlich, einen Menschen zu haben, der einen verstand. Das hätte ich ihr gern gesagt. Aber ich kam nicht dazu, zumindest diesmal nicht, denn als wir die Böschung zum Fluss hinunterstiegen, sagte sie: »Ich hab dich immer für den allergrößten Morrissey-Fan gehalten. Das sagt auch jeder. Als ich das letzte Mal bei einer Smiths-Nacht war, hab ich gehört, wie jemand sagte, dieser Junge aus Failsworth, dieser Raymond Marks, sei wahrscheinlich der treueste Morrissey-Maniac, den es gibt.«
    Jetzt schlenderten wir am Flussbett entlang, das so ausgetrocknet war, als ginge man auf einem Weg. Ich dachte, ich hätte mich vielleicht verhört.
    »Woher kannten die denn meinen Namen?«, fragte ich.
    Sie zuckte die Achseln. »Keine Ahnung«, erwiderte sie. »Wahrscheinlich von mir.«
    Ich ging weiter. Und hoffte, dass nicht wieder die Sonne schuld war.
    »Aber woher hast du meinen Namen gekannt?«, fragte ich.
    Sie zuckte wieder die Schultern. »Ich kannte ihn eben. Ich hab ja in Failsworth gelebt. Ich kenne deinen Namen schon ewig lange.«
    Sie starrte mich an, sah mir direkt in die Augen, so als – so als fordere sie mich heraus.
    Und dann kam es, Morrissey, dann sagte sie mit fester, beherrschter Stimme: »Du weißt nicht, wer ich bin, oder?«
    Ich runzelte die Stirn und zuckte die Achseln. »Na ja … Jo«, antwortete ich. »Ich weiß nur, dass du Jo heißt.«
    Sie starrte mich immer noch unverwandt an, dann nickte sie und sagte: »Ja, aber früher war ich jemand anders. Ich war Paulette Patterson.«

    Menschen, die eine Explosion überlebt oder einen schweren Schock erlitten haben, Morrissey, die sagen doch immer, dass es ein kleines, oft in keinerlei Beziehung zum Ereignis stehendes Detail gewesen sei, das ihnen am deutlichsten in Erinnerung geblieben ist; zum Beispiel die Tatsache, dass ihre Augen eigentlich gar nicht kastanienbraun waren, wenn man sie so aus der Nähe sah. Vielleicht lag es am Sonnenlicht, dass sie viel heller wirkten, als ich geglaubt hatte, eher bernsteinfarben; das Bild von den dunklen Kastanien war auf jeden Fall völlig falsch, vor allem jetzt, wo ich in Augen blickte, die in wildem Trotz aufgerissen waren, feuchte Augen, aus denen jetzt Tränen quollen und langsam über ihr Gesicht liefen.
    Ich zuckte die Achseln. »Macht doch nichts«, sagte ich.
    Dann zuckte ich noch mal die Achseln und fügte hinzu: »Ich war früher mal der Falsche Junge.«
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Die Originalausgabe
THE WRONG BOY
erschien 2000 bei Doubleday, London

    12. Auflage

    Taschenbucherstausgabe 12/2002
    Copyright © 2000 by W. R. Limited
    Copyright © der deutschsprachigen Ausgabe 2001
by Diana Verlag AG, München und Zürich
Wilhelm Heyne Verlag München, in der Verlagsgruppe
Random House GmbH

    Satz: Filmsatz Schröter GmbH, München
Gesetzt aus Stempel Garamond

    eISBN 978-3-641-04168-7

    htpp:// www.heyne.de
    www.randomhouse.de
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