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Der fingerkleine Kobold

Der fingerkleine Kobold

Titel: Der fingerkleine Kobold
Autoren: EDITION digital Verlag
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plötzlich verstanden.
Dann grübelte er vor sich hin. „Aber Herr Wagner wird ja nicht immer Montag
früh zum Arzt müssen", sagte er schließlich, „also hat das doch eigentlich
wenig Sinn gehabt, Strups!"
    „Natürlich müsst ihr euch auch etwas einfallen lassen",
rief Strups, „du und Irene und Dieter und noch ein paar andere — hast du denn
nicht gemerkt, dass es heute allen viel besser gefallen hat als sonst? Weil sie
selber ruhig waren? Es sind nämlich gar nicht viele, die den Lärm lieber mögen.
Und mit denen solltet ihr nicht fertig werden?"
    „Hm", sagte Christoph nachdenklich, „man müsste es wenigstens
versuchen, nicht
    wahr?“
    ALS VORLETZTES: DER REGENBOGEN
    Das Schuljahr lief davon mit großen Stundenschritten. Wer
geht in diesen letzten Juniwochen noch gern zur Schule?
    Kein Schüler. Und auch kein Lehrer, übrigens.
    Christoph hatte keine Angst vor dem Zeugnis. Er konnte sich
ausrechnen, dass er keine Vieren bekommen würde. Vielleicht auch keine Dreien.
Wenn aber eine Drei, dann in Betragen. Zwar hatte er keinen Unsinn gemacht,
aber es standen doch vier Eintragungen im Klassenbuch: eine wegen
„unentschuldigten Fehlens und frecher Antworten'', eine wegen „absichtlichen
Störens des Unterrichts" und zwei wegen „vorlauten Verhaltens und
ungebührlichen Benehmens gegenüber Erwachsenen".
    „Das ist schon so eine Sache", sagte Christoph zu
Strups, „erst wollen die Erwachsenen, dass man immer die Wahrheit sagt, aber
wenn man’s dann tut, nennen sie’s vorlaut, frech oder ungebührlich."
    Sie saßen auf der Bank am Schillerplatz, auf der Christoph
an einem Donnerstagmorgen im April den Entschuldigungszettel zerrissen hatte.
Die Mittagssonne brannte und zauberte einen Regenbogen in das hochspringende
und wieder hinunterstürzende Wasser des großen Springbrunnens. Der Regenbogen
leuchtete so deutlich in allen Regenbogenfarben, wie er es am Himmel selten
tut, und er reichte an beiden Seiten bis ganz auf die Erde hinunter. Strups
dachte über Christophs Beschwerde nach und zerwühlte dabei seine struppigen
Haare. Als ihm auch so keine Antwort einfiel, kletterte er schnell den
Regenbogen an der linken Seite hoch, lief ein Stückchen auf ihm entlang und
rutschte auf der rechten Seite bäuchlings wieder hinunter. Setzte sich neben
Christoph und sagte: „Natürlich ist die Wahrheit ab und zu unbequem, sie kann
einem eine Menge Ärger einbringen. Aber wenn du nur an deine Bequemlichkeit
denkst, dann wächst du nicht, dann wirst du höchstens dick! Und manchmal, weißt
du, da haben sie auch ein bisschen recht, diese Erwachsenen. Denn manchmal ist
das, was du für die Wahrheit hältst, einfach falsch. Schließlich weißt du ja
noch nicht alles. Und trotzdem musst du immer das sagen, was du für wahr
hältst."
    „Ja, ja", sagte Christoph, „aber so einfach ist das
nicht!"
    „Wer sagt denn, dass es einfach ist?", rief Strups. „Es
ist sogar eine verdammt knifflige Sache mit der Wahrheit. Frag doch mal das
Mädchen da drüben, ob es den Regenbogen sieht!"
    Auf die gegenüberliegende Bank hinter dem großen
Springbrunnen hatte sich gerade ein kleines Mädchen gesetzt; es hatte lange,
helle Zöpfe und schob einen roten Puppenwagen vor der Bank hin und her.
    „He, du", rief Christoph laut über den Schillerplatz, „siehst
du den Regenbogen?"
    Das Mädchen hielt den Zeigefinger an ihre Stirn und rief
zurück: „Spinnst wohl, was? Hier ist kein Regenbogen."
    „Du lügst!", schrie Christoph wütend. „Schrei nicht
so", rief das Mädchen empört, „meine Puppe soll endlich einschlafen. Wo
soll wohl ein Regenbogen herkommen, wenn’s gar nicht regnet?!
    „Oje, ist die dumm", stöhnte Christoph. Da sah er
Strups lächeln und wurde unsicher. „Du meinst ...?", fragte er.
    „Ja, ja", sagte Strups, „so ist das mit der Wahrheit.
Das Mädchen lügt überhaupt nicht. Und dumm ist’s auch nicht. Es weiß nur noch zu
wenig. Und von da drüben könntest auch du den Regenbogen nicht sehen. Dort ist
nämlich keiner, verstehst du?"
    „Junge, Junge", seufzte Christoph, „das ist ja ’n Ding,
Strups!"
    Der Kobold schmunzelte. „Fast wie mit den Matheaufgaben,
nicht?"
    „Wieso?", fragte Christoph erstaunt.
    „Na ja", sagte Strups, „zuerst hast du gesagt, es ist
langweilig. Und jetzt?"
    „Es ist überhaupt kein bisschen langweilig", rief
Christoph.
    „Aha. Und wann hast du gelogen? Damals oder jetzt?"
    „Überhaupt nicht", rief Christoph fröhlich, „sonst
wärst du doch nicht mehr hier!"
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