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Der Federmann

Der Federmann

Titel: Der Federmann
Autoren: Max Bentow
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schwankte.

EPILOG

    VIERUNDDREISSIG
     
     
     
     
    D a waren Stimmen, sie redeten auf ihn ein. Eine große Unruhe war um ihn herum, er wollte sich zurückziehen, eine entfernte Ecke suchen, für sich allein. Er versuchte, seine Glieder auszustrecken, doch es gelang ihm nicht. Plötzlich berührte ihn etwas im Gesicht. Er wollte es wegschlagen, doch die Hand ließ sich nicht bewegen. Was war das? Es fühlte sich an, als würde sein Arm in einem Schraubstock stecken.
    Er schnappte nach Luft.
    Dann schlug er die Augen auf.
    Jemand beugte sich über ihn. Eine Haarsträhne kitzelte seine Wange.
    Er zuckte zurück.
    »Herr Trojan, wollten Sie nicht längst nach Hause fahren? «
    Er starrte die Schwester an. Es roch nach Desinfektionsmitteln und sterilem Verbandszeug.
    Er schaute sich um. Er war im Flur der Ambulanz.
    »Wie spät ist es?«, fragte er.
    »Sieben Uhr dreißig.«
    »Abends?«
    Ihr Lächeln war freundlich.
    »Morgens.«

    Ein Patient schob einen Rollator durch den Gang.
    »Welchen Tag haben wir heute?«
    Wieder lächelte sie.
    »Montag, den 24. Mai. Es ist wunderschönes Wetter draußen.«
    Mit einem Mal stürmten die Bilder auf ihn ein, und er hatte Brotters Fratze vor sich. Er schlug seine Hand weg und sah ihn in die Tiefe stürzen.
    »Ist Ihnen nicht gut?«
    Er runzelte die Stirn.
    »Haben Sie Schmerzen?«
    Er schaute auf seinen rechten Arm. Er war eingegipst. Irgendwann musste er wohl auf diesem Stuhl vor lauter Erschöpfung eingeschlafen sein. Doch bestimmt nicht für mehr als zwei, drei Stunden. Er konnte sich nur noch vage daran erinnern, dass er eigentlich nach Hause fahren wollte, nachdem man seinen Bruch versorgt hatte.
    »Alles in Ordnung«, murmelte er.
    Er nickte ihr noch einmal zu, dann stand er auf und ging in Richtung Ausgang.
    Er warf einen Blick durch die Glastür. Sie hatte recht, draußen schien die Sonne. Draußen sein und sich einen schönen Tag machen, dachte er. Im Freien sein und alles vergessen.
    Dann wandte er sich zu dem Glaskasten und lehnte sich über die Sprechmuschel.
    »Jana Michels. Welche Station bitte?«
    Der Pförtner klapperte auf der Computertastatur.
    »Innere, siebter Stock. Nehmen Sie den Aufzug links.«
    Trojan bedankte sich und ging zum Lift.

    Als er im siebten Stockwerk angelangt war, musste er gegen eine kurze Übelkeit ankämpfen. Wann hatte er das letzte Mal etwas gegessen? Er konnte sich nicht erinnern.
    Er fragte eine Schwester nach der Zimmernummer. Sie nannte sie ihm.
    »Wie geht es ihr?«
    Ihre Miene war ernst.
    »Sie hat sich geweigert, ein Beruhigungsmittel zu nehmen. Ansonsten geht es ihr den Umständen entsprechend.«
    Er nickte.
    Er atmete ein paar Mal tief durch, bevor er die Klinke drückte und das Zimmer betrat.
    Sie lag am Fenster.
    Ihre Augen waren geschlossen. Ihr Haar war glanzlos und stumpf. Er erkannte die versengten Stellen. Er sah den Mullverband in ihrem Gesicht.
    Er zog sich lautlos einen Stuhl heran und setzte sich an ihr Bett.
    Nach einer Weile öffnete sie die Augen und sah ihn an.
    Er lächelte zaghaft.
    »Was macht dein Arm?«, fragte sie leise.
    Er klopfte mit der Linken auf den Gips. »Der wird wieder. «
    »Konntest du schlafen?«
    »Bin unten in der Ambulanz eingenickt. Und du?«
    Sie seufzte kaum hörbar.
    Sie schwiegen eine Zeit lang.
    Dann sagte sie leise: »Es ist durchgestanden, nicht wahr?«
    Er nickte.

    Er bemerkte, wie sie sich verkrampfte. Ihre Stirn legte sich in Falten. Bald darauf verzog sich ihr Gesicht, als hätte sie Schmerzen.
    »Hat man ihn –?«
    Er legte den Finger an die Lippen.
    »Schsch«, machte er.
    Ihre Augen waren glasig.
    »Du bist in Sicherheit, Jana.«
    »Dieser Mantel –, die Haare –«
    »Denk jetzt nicht dran.«
    »Und es war –«
    »Alles wird wieder gut«, flüsterte er.
    Sie drehte den Kopf zum Fenster.
    Er folgte ihrem Blick. Das Morgenlicht fiel in gebündelten Strahlen durch die geöffneten Lamellen der Jalousie. In der Ferne waren der Hauptbahnhof und die Spree zu erkennen. Die Spree. Wieder tat sich der schwindelerregende Abgrund vor ihm auf. Er kniff kurz die Augen zu.
    Sie wandte den Kopf zu ihm um und zog ihre Hand unter der Bettdecke hervor. Er nahm und drückte sie.
    »Es ist vorbei«, murmelte er.
    »Ja, es ist vorbei.«
    Doch dann kamen ihr die Tränen, und sie weinte stumm in sich hinein.
    Er streichelte ihre Hand.
    Sie fühlte sich kalt an. Er dachte daran, wie sehr er sich danach gesehnt hatte, ihre Hand zu halten, und dass es weitaus schönere Gelegenheiten dafür
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