Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Favorit der Zarin

Der Favorit der Zarin

Titel: Der Favorit der Zarin
Autoren: Boris Akunin
Vom Netzwerk:
Nicholas grauste bei dem Gedanken, dass in hundert Jahren die ganze Menschheit globalisiert sein würde und sich ähnlich ausdrücken könnte. Und wohl auch ähnlich aussehen würde. Vorläufig konnte Glen ja Gott sei Dank noch als ein exotisches Wesen gelten.
    Er schämte sich – für sein eigenes Gebrüll und den unkultivierten Assistenten. Fandorin bedeutete Valja, er solle verschwinden, und entschuldigte sich bei dem Besucher, wobei er mit den Worten schloss: »Sie verstehen mich doch sicher.«
    »Keine Angst, ich verstehe das schon«, erwiderte der als Kunde hoffnungslose Fall nachsichtig, während er Valja mit dem Blick folgte. »Dieser junge Mann ähnelt Ihrer Sekretärin sehr. Ist er ein Verwandter von ihr? Arbeitet er ebenfalls bei Ihnen?«
    »Ja, es ist ihr Bruder. Er hilft aus, wenn zu viel zu tun ist«, log Nicki. Er konnte doch nicht etwas von Rosa und Blau erzählen -der Mann war ja sowieso schon psychisch lädiert.
    Zufrieden mit dieser Antwort starrte der merkwürdige Besucher wieder Fandorin an. Er kaute auf seinen Lippen herum und sagte:
    »Ein undurchsichtiger Fall. Das Gericht zieht sich zur Beratung zurück.«
    Er erhob sich, nickte respektheischend und stolzierte zum Ausgang. Klarer Fall, ein Schizophrener, da kann man nichts machen.
    Nicholas seufzte niedergeschlagen und wandte sich wieder dem Monitor zu. Der Bildschirm ließ den schwarzen Vorhang verschwinden und lebte auf. Eine Großaufnahme war zu sehen: Katharinas Gesicht. Die bedeutendste Frau der russischen Geschichte blickte aufmerksam auf Nicki und blinzelte nicht einmal. Sie schien zu wissen, dass sich jetzt ihr Schicksal entschied.

ZWEITES KAPITEL
    AS YOU LIKE IT oder
WIE ES EUCH GEFÄLLT
    (Shakespeare, 1599)
    Die hellgrauen Augen der lieben Zarin Katharina waren von listigen Fältchen umgeben. Vielleicht hatten die Fältchen auch nichts mit List zu tun, sondern kamen von den Wangen, dachte Mithridates. Was für aufgeplusterte Backen, wie zwei Kissen! Die drückten womöglich auf die Augen.
    Die gottgleiche »Feliza« – so nannte sie der zeitgenössische Odendichter Dershawin – war in allem so: dick, aufgedunsen, als habe sie sich nur mit Mühe in das Kleid gezwängt. Der Fuß, den sie auf ein geschnitztes Bänkchen gesetzt hatte, quoll über den Saffianschuh wie aufgegangener Teig über den Topfrand, am Kinn schwabbelten Falten, und selbst unter der Nase, wo es von der Physiognomie her eigentlich gar nicht geht, hatte sie eine Falte – vermutlich, weil Ihre Majestät oft ohne wirkliche Fröhlichkeit lächeln musste, wie Mitja nach seiner Gewohnheit von der Wirkung auf die Ursache zurückschloss.
    Der Blick der Kaiserin blieb für eine Sekunde an der kleinen Gestalt hängen, und Mithridates presste sofort seine Hand aufs Herz, wie es ihn der Vater gelehrt hatte, und verbeugte sich elegant, wodurch ihm der Puder von den Haaren in die Stirn fiel und ihn kitzelte. Doch leider ließ die Zarin ihren erleuchtenden Blick gleichgültig von unten nach oben wandern, von dem anderthalb Arschin (Altes russisches Längenmaß: 1 Arschin =16 Werschok = 0,7112 m) winzigen Knaben zu dem riesigen Indianer, und interessierte sich nicht im Mindesten für ihn. Das Weib mit dem Schnurrbart besah sie sich etwas länger. Dann zog sie die Lippen zu einem zerstreuten Lächeln in die Breite und blickte wieder in die Karten.
    »Hatten wir die Karodame schon?«, fragte ein zittriges Stimmchen, das die russischen Worte mit deutschem Akzent aussprach. Zögernd nahm Katharina mit ihrer fetten Hand aus der Vertiefung im Tisch eine weiße Spielmarke und hielt sie hoch.
    Na, wie gefällt euch das? Da kann die sich noch nicht einmal merken, welche Karten bereits abgelegt wurden, und will die Gebieterin über das Russische Reich sein! Und das, wo es sich nur um Boston handelt, ein einfaches und stupides Spiel, in dem es nur sechsunddreißig Blatt gibt!
    Mitja war endgültig enttäuscht von der Kaiserin. Auf den Porträts stellte man sie als Minerva und Pallas Athene dar, dabei war sie in Wirklichkeit eine alte Oma. Wie die Assessorin Luisa Karlowna, die donnerstags zu seiner Mutter zum Kaffee kam. Sogar ihre Haube sah genauso aus! Und was hatte Ihre Majestät da unter dem Ohr (die Kaiserin wandte sich gerade ihrer Partnerin zur Linken zu)? Um Gottes willen, eine Warze, id est ein Hautknoten auf dem Epithelium, und dieser Warze entsprießen auch noch graue Härchen. Igittigitt!
    Er schielte mitleidig zu seinem Vater, der, wie vorgeschrieben, rechts hinter ihm
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher