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Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)

Titel: Der falsche Spiegel: Roman (German Edition)
Autoren: Sergej Lukianenko
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genauso.«
    »Nein. Sie ist anders. Echt. Du kannst Vika küssen – oder ihr an die Kehle gehen. Du kannst mit einem Freund reden – oder streiten. Ihr Menschen seid einander gleich. Ihr lebt unter euresgleichen. Und genau das will ich auch.«
    Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein …
    »Was hast du vor, Leonid? Willst du mich töten? Das wird nicht klappen. Dein Hass mag immens sein – aber er verleiht dir nicht die Kraft, mich zu töten.«
    »Ich hasse dich nicht.«
    »Ach nein?« Der Dark Diver lacht. »Dann sag mir doch: Ich liebe dich! Los, sag es!«
    »Du tust mir leid.«
    Darauf erwidert er nichts.
    »Du tust mir leid, Dark Diver.«
    »Ich brauche dein Mitleid nicht.«
    »Verzeih mir, dass ich dich allein gelassen habe.«
    »Hör auf damit! Das ist nicht nötig!«
    »Verzeih mir, dass ich mich von mir selbst abgewandt habe. Ich habe mein Schicksal verraten. Ich habe gedacht, dass alle Probleme auf einen Schlag zu lösen sind, dass sich alles Unglück aus der Welt schaffen lässt. Dass es ein ideales Verhalten gibt und absolute Wahrheiten. Dass eine kleine gemütliche Welt in einer großen ungemütlichen Welt überleben kann. Dass man das Fenster schließen kann und die Stimmen anderer nicht mehr hören muss.«
    »Schweig!«
    Der Dark Diver schüttelt sich ungeschickt, als sei ihm die gezeichnete Kleidung zu eng. Ich begreife, was er machen will.
    Fliehen.
    Genau wie ich vor ihm geflohen bin.
    »Ich werde dich nicht mehr allein lassen«, versichere ich und berühre seine Schulter.
    Tiefe, Tiefe, ich bin nicht dein …
    In seinen Pupillen spiegelt sich ein Regenbogen.
    Der graue Nebel zerfällt zu buntem Schnee.
    Der Helm ist schwer – zu schwer für meinen gezeichneten Körper.
    Ich strecke die Hand aus, fange eine Schneeflocke und betrachte das winzige, schillernde Kristall.
    In ihm drehen sich Ziffern, endlose Ziffern, die mir nichts sagen.
    In ihm schimmern Gesichter, endlose Gesichter, die ich nie sehen werde.
    Ich stehe in einem regenbogenfarbenen Schneegestöber, in einem Sturm, den jemand bunt angemalt hat, mit Farben, die von einer unerschöpflichen Palette stammen.
    »Ich werde mich nie wieder von mir abwenden.«
    Und der Dark Diver in mir zittert, als die Flocken des bunten Schnees uns durchbohren.
    Des echten Schnees in einem echten Deeptown.
     
    Wie einfach das ist: die Welt zu ändern.
    Ich stapfe durch den niedergehenden Schnee und halte mein Gesicht dem Wind entgegen. Unter mir zieht sich ein unsichtbarer Faden dahin, der entlang eines Abgrunds gespannt ist.
    Will ich das tun? Wirklich? Habe ich das Recht dazu?
    Die ewige Frage, auf die es niemals eine Antwort gibt.
    Nein, das stimmt nicht, einige haben sie ja gefunden. Diejenigen, die sich fürchten, diesen Schritt zu machen. Diejenigen, die
nicht das Risiko eingehen, ihr Gesicht in den Wind zu halten. Diejenigen, die von der Brücke stürzen.
    Aber irgendjemand muss doch auch das tun, oder?
    Ich strecke die Hand aus, klaube mir ein paar der schweren bunten Flocken, presse sie in der Hand zusammen und forme daraus einen Schneeball.
    Einige werden behaupten, ich zerstöre etwas.
    Denn der Schnee war bunt – und der Schneeball ist weiß.
    Aber auch Weiß ist eine Farbe.
    Ich hole aus und werfe den Schneeball. Schon in der nächsten Sekunde setzen die Kampfpatronen auf dem Tisch im Traktir Rost an. Schon in der nächsten Sekunde wird den Freiwilligen, auf deren Rechnern Artificial nature läuft, für einen Moment schwindlig. Schon in der nächsten Sekunde lodert vor mir ein warmes Licht auf.
    Ich mache noch einen Schritt. Die Brücke gleitet unter meinen Füßen hinweg.
    Ich zerteile den Schneesturm und trete in Dibenkos Büro ein.
    Der Raum ist sehr streng gehalten und flößt dir sofort Respekt ein. In der Realität ist sein Büro garantiert ebenso imposant, daran zweifle ich nicht im Geringsten.
    Der Schöpfer der Tiefe , derjenige, der die künstlichen Intelligenzen geschaffen hat, sitzt vorm Computer und spielt Tetris. Ziemlich schlecht übrigens. Der halbe Bildschirm ist schon voller Steine, die wird er kaum noch wegkriegen können.
    »Klicke Pause an«, rate ich ihm.
    Dibenko zuckt zusammen und dreht sich um. Die bunten Steinchen prasseln von oben nach unten und fügen sich zu einem bizarren Ornament.
    »Leonid?«
    Ich weiß, was er fürchtet. Ich weiß, warum seine Finger krampfhaft über die Tastatur fahren, um das Deep-Programm zu starten.
    »Ja, ich. Keine Angst! Den Dark Diver gibt es nicht mehr.«
    »Wie bist du reingekommen?«,
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