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Der Fall Zamar (German Edition)

Der Fall Zamar (German Edition)

Titel: Der Fall Zamar (German Edition)
Autoren: Ute Maak
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nie vergessen können.
    Schon zwei Stunden nach den blutigen Ereignissen, bei dem 24 irakische Zivilisten getötet wurden, fuhren die ersten Ermittler vor. Es handelte sich um Angehörige der amerikanischen Militärpolizei. Anscheinend sollten sie größtmögliche Schadensbegrenzung betreiben. Wie sich später nämlich herausstellte, waren einige Beweise unschlüssig oder fehlten ganz. In der Gerichtsverhandlung konnten sie dann nicht mehr verwertet werden. Schnell wurde den Anwohnern klargemacht, dass sie doch eine Mitschuld tragen. Der Attentäter, der das Militärfahrzeug mit den zwei GIs in die Luft jagte, hätte schließlich in den Häusern nahe der Straße Unterschlupf gefunden. Nichts von dem entsprach der Wahrheit. Madea war 14 Jahre und erinnerte sich noch genau daran, wie wütend und erregt die Nachbarn über diese Aussagen waren. Alle Bewohner der Straße bezeugten, dass sie friedliebende Menschen seien. Es kamen noch mehr Leute, die sich mühten, um die wahren Abläufe und Ursachen herauszufinden. Die irakischen Ermittlungsbehörden erschienen zwar auch einige Male in Haditha, aber sie spielten nur eine untergeordnete Rolle neben den Amerikanern. Sie machten Fotos, erstellten Skizzen und befragten die Zeugen. Auch Madea wurden Fragen gestellt. Heute weiß sie jedoch, wie belanglos und lapidar diese Befragung war.
    Das Wasser im Kessel kochte. Madea goss es in die mit Tee vorbereitete Tasse und setzte sich wieder ins Bett, den Rücken an die Wand gelehnt. Mit der freien Hand zog sie sich die Decke über ihre Beine.
    Da Madea von ihrer Familie die einzige Überlebende war, wurde sie vorerst von benachbarten Freunden aufgenommen. Ihr Onkel Rasim Zamar musste benachrichtigt werden, damit er sich um sie kümmern konnte. Er lebte in Bagdad und arbeitete als Arzt in einem Krankenhaus. Die Zeit, die Madea noch in Haditha verbrachte, erlebte sie nur im Trauerzustand, in sich zurückgezogen und hilflos. Ebenso hilflos waren die Leute ihr gegenüber, da sie nicht wussten, wie sie ihr beistehen konnten. Einige von ihnen verloren an jenem schrecklichen Tag ebenfalls Angehörige oder Freunde, sodass es ihnen genauso schwerfiel, diese Tat zu begreifen. Madea ging nicht mehr zur Schule, aß kaum noch etwas und verließ das Haus nur, wenn es nötig war. Drei Wochen später erschien ihr Onkel Rasim und nahm sie mit nach Bagdad. Das Haus in Haditha wurde verkauft. Das wenige Geld, das sie dafür bekamen, brachte ihr Onkel auf eine Bank.
    „Wenn du später einen guten Beruf erlernen willst, wirst du das Geld mal brauchen“, meinte er damals, „aber bis dahin geh bitte zur Schule, damit du nicht in deiner Trauer ertrinkst.“ Dazu gab er ihr einen weisen Ratschlag: “Nur ein intelligenter und ausgereifter Verstand kann das Handeln der Menschen verstehen. Man kann entweder alles akzeptieren und in der Gemeinschaft zusammenleben oder cleverer sein und eine bessere Gesellschaft in einer besseren Welt schaffen.“
    Eine ganze Nacht lag sie wach und dachte über das Gesagte nach. Unendlich groß war ihr Seelenschmerz, daran waren fremde Menschen schuld, deren Tun und Handeln sie nicht verstand. So hatte Madea sich einen Plan für ihr Leben geschmiedet, zumindest für die nächsten Jahre.
    Als Madea jetzt mit ihrem Tee in der Hand im fahlen Schein der Großstadtlichter auf ihrem Bett hockte, dachte sie daran, dass sie einen Teil ihres Vorhabens schon geschafft hatte. Heute ist sie sehr dankbar dafür, dass sie von Rasim lernen durfte.
    In Bagdad fing sie wieder an zu leben, sie ging mit Eifer zur Schule und wollte keine Sekunde versäumen, in der sie nicht etwas lernen konnte. Aber ein Schulbesuch in Bagdad wurde von Jahr zu Jahr schwieriger für junge Mädchen, die aufstrebende Macht von Sadr-Milizen und Al-Kaida-Anhängern wollten die intelligente und selbstbewusste Weiblichkeit verhindern. Der islamische Irak sollte wieder ein Staat für Männer werden, wo Frauen nur eine untergeordnete Rolle am Herd spielen. Je weniger Bildung sie haben, umso weniger kennen sie ihre Rechte. Aber viele junge Mädchen ließen sich davon nicht abbringen, in die Schulen und Universitäten zu gehen. Madea war eine hervorragende Schülerin, denn ihr Fleiß brachte sie voran. Das Lernen fiel ihr leicht, sie war begabt. Ihr Onkel war darüber sehr glücklich, aber auch verwundert, mit welcher Konsequenz und Akribie sie die englische Sprache erlernte. Perfekt wollte sie sein. Irgendwann fing sie an, sich mit den amerikanischen Soldaten zu
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