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Der Fall Maurizius

Der Fall Maurizius

Titel: Der Fall Maurizius
Autoren: Jakob Wassermann
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aber dabei ging es Etzel, obwohl er sich mit Feuer ins Zeug legte, ähnlich wie bei der Vorstellung von der »spielenden« Hand des Vaters, alles war nur wie Spiel, sarkastisches Spiel eines Partners, der aus seiner unvergleichlich stärkeren Position keinen Vorteil ziehen will. Er ist verdammt gescheit, dachte Etzel wütend und voll Hochachtung, man kann ihm nicht beikommen. In seinem naiven Jungeneifer geriet er immer an die Grenze, wo es keine andere Rettung gab als das Paradox, und in dieses stürzte er sich dann tollkühn und unter dem jesuitischen Bedauern seines mit allen Wassern gewaschenen Gegners. »Du bist nicht nur ein Kampfhahn«, sagte Herr von Andergast schließlich und schaute auf seine goldene Deckeluhr, »du steckst auch voller Finten und Schliche, bei dir muß man aufpassen.« Da gaffte Etzel erstaunt und argwöhnisch; gerade dieses Kompliment nicht verdient zu haben, war er sicher.
    So oder ähnlich endete die Unterhaltung meistens, unverbindlich und in ein quälendes Vakuum laufend. Punkt halb zehn erhob sich Herr von Andergast mit einer Miene, die nicht mehr die geringste Beziehung zum letztgesprochenen Wort hatte; worauf sich Etzel in etwas alberner Überstürzung zur Tür wandte, die Klinke packte und sich mit dem vagen Lächeln eines Menschen verbeugte, der auf abgefeimte Manier überlistet worden ist. Ja, er kam sich geprellt vor, er konnte nicht sagen, warum, und jedesmal, wenn er aus dem Zimmer ging, fühlte er sich »entlassen«, ungefähr wie nach einem Verweis beim Rektor.
    Mußte Herr von Andergast am Abend ausgehen, so erschien er spätnachmittags in Etzels Stube, setzte sich an den Tisch, an dem der Knabe seine Schularbeiten machte, bat ihn, ruhig fortzufahren, und schaute zu. Nach einiger Zeit wurde Etzel befangen, verlor den Faden und stockte. »Was arbeitest du?« fragte Herr von Andergast. Wenn es etwa das mathematische Exerzitium oder der Geschichtsaufsatz war, zeigte sich Herr von Andergast interessiert. Mit seiner überlegenen Rednergabe jedes Wort »bringend«, wie die Schauspieler sagen, pries er eines Tages die geistige Sauberkeit, zu der die Mathematik erziehe, den Zauber der Figur, der reinen Figur nämlich, für den sie empfänglich mache. Sie gewähre, behauptete er, lebendige Anschauung der Naturgesetze, und wie die Krönung einer Kuppel das anscheinend Auseinanderstrebende vereinige, könne sie die höchsten menschlichen Fähigkeiten verbinden und die gegensätzlichsten. Etzel hörte aufmerksam zu, sah aber aus wie ein störrisches Hündchen, das nicht gelaunt ist zu apportieren. Doch bei einer andern Gelegenheit, als der Vater mit ebenso sanfter Eindringlichkeit das Studium der Geschichtswissenschaft empfahl, ereiferte er sich trotzig und bestritt vor allem, daß es sich um eine Wissenschaft dabei handle. Mit demselben Recht könne man Aktenschreiben und Zeitunglesen eine Wissenschaft heißen. Wo sei da Erkenntnis? wo Gesetz? wo trete man auf festen Boden? Gedächtnislast sei es, Willkür, Nomenklatur, Chronologie, im besten Fall Roman. »Ei«, sagte Herr von Andergast und machte eine Geste wie ein Dirigent, wenn die Pauke zu laut wird.
    Es waren dialektische Übungen im Grunde, und das Gebiet, auf dem sie sich abspielten, war von Herrn von Andergast genau umgrenzt. Etzel wußte, daß er die Grenze nicht überschreiten durfte. Die Person, die mit so viel Freundlichkeit seinen geistigen Erlebnissen lauschte, ja sie ihm entlockte, seinen oft unreifen, meist sehr entschiedenen, manchmal sehr leidenschaftlichen Gedankengängen folgte, hätte sich unbedingt in eine frostige Masse verwandelt, wenn er sich hätte beifallen lassen, über äußere Geschehnisse zu reden, über Tagesereignisse, die Beziehung zu einem Freund, einem Lehrer, oder gar Fragen zu stellen, die den Beruf, die private Existenz, die Vergangenheit des Vaters berührten. Wenn er dergleichen auch nur in der Andeutung wagte, heimlich gestachelt und wohl wissend, daß er scharf zurückgewiesen werden würde, erhob sich Herr von Andergast, runzelte die Stirn und sagte mit schräg abgleitendem Blick: »Wir wollen das zu einer passenderen Zeit erörtern.« Etzel hatte Ursache zu vermuten, daß er die untersten Grade jener Frostigkeit noch gar nicht zu spüren bekommen hatte; das sofortige Sinken der Temperatur bei der geringsten Entgleisung jagte ihm ohnehin Angst genug ein. In Momenten, wo er sich nicht beobachtet glaubte (sie waren noch seltener, als er vermutete, denn Herrn von Andergasts ganze Wesenheit war
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