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Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)

Titel: Der Fälscher: Kriminalroman (German Edition)
Autoren: Cay Rademacher
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schon ausgeweidet, oder es ist ihnen zu gefährlich, die ungesicherte Ruine nach den tagelangen Niederschlägen zu betreten.
    Der Oberinspektor durchquert den Mauerbogen, in den einmal der Haupteingang eingelassen war. Schutthügel, zerschmetterte Ziegel. Keine Ofenrohre mehr, keine Knäuel verkrümmter Kabel, keine unbeschädigten Steine. Rascheln, leises Fiepen von irgendwo – ein Rattennest, vermutet der Kripo-Beamte. Er betritt die Ruine. Die Hälfte des Innenraums versinkt im tintenfarbenen Schatten der Mauern. Der eingebrochene Keller, aus dem er die beschädigten Kunstwerke geborgen hat. Die Stelle, an der man den Körper von Rolf Rosenthal barg. Er fragt sich, welches Geheimnis unter diesen Trümmern liegt. Plötzlich ein Geräusch. Stave hebt den Kopf, hält den Atem an. Schritte.
    Der Oberinspektor blickt sich rasch um. Ein wuchernder Brombeerstrauch auf einem Schutthaufen nahe der Außenmauer, die dem Eingang gegenüberliegt. Er springt dorthin, zwängt sich zwischen die Wand und die Dornen, duckt sich. Blut aus einem Kratzer auf seinem rechten Handrücken. Feuchtigkeit, die an den Knien durch den Stoff der Sommerhose dringt. Er fingert hektisch in seiner Manteltasche nach der FN 22. Vergebens – der Pistolenholster hängt immer noch in der Wohnung am Garderobenhaken.
    Schramm. Der alte Bankier steht im ausgebrannten Eingang, späht misstrauisch ins Innere. Dunkler Mantel, dunkler Hut auf dem massigen Schädel. Der Stock mit dem schweren Silbergriff. Stave wagt kaum zu atmen, duckt sich tiefer, tastet umher, bis er einen halben Ziegelstein zu packen bekommt. Besser das als nichts.
    Der Bankier geht zögerlich ins Innere. Erklimmt mühsam den ersten Schutthügel, klemmt sich oben ein Monokel vor das linke Auge. Weiter. Das eingebrochene Gewölbe, in dem die Kunstwerke lagen, denkt Stave. Er geht direkt dorthin. Er sucht etwas.
    Schramm steigt mit vorsichtigen Schritten in den Krater und stochert mit dem Gehstock zwischen Ziegelstaub und verkohlten Holzresten. Helle Kalkflecken auf seinem teuren Mantel, doch er achtet nicht darauf. Schramm beugt sich hinunter, studiert mit dem monokelbewehrten Auge die Trümmer. Er zerrt einen tellergroßen Betonbrocken fort, schaufelt Mörtelstaub weg, reißt einen Birkenschössling mitsamt Wurzel aus dem Untergrund.
    Staves Knie schmerzen, er zittert in der Kälte, weil seine Hose und sein Mantel an den Schultern inzwischen durchnässt sind. Er umklammert den Ziegelbrocken so fest, dass der Kratzer auf seinem Handrücken aufspringt und wieder zu bluten beginnt.
    Plötzlich fällt auch der Bankier auf die Knie, lässt seinen Gehstock los, gräbt mit beiden Händen im Schutt. Er zieht etwas hervor, das aussieht wie eine beschädigte Schüssel, staubüberzogen, gezackt, bloß an einer Stelle schwarz und glänzend. Schramm hebt seinen Fund hoch, zwingt mit dem Gehstock seinen massigen Körper aus der Grube, humpelt bis zur Außenwand, wo durch eine Fensterhöhle mehr Licht hineinfällt. Der Keramikschädel, erkennt Stave. Schramm hat die obere Hälfte des zerschmetterten Männerkopfes gefunden, dessen untere Partie er selbst vor Tagen zusammen mit dem Bronzekopf und der Betonskulptur sichergestellt hat. Nun betrachtet der Bankier das Fragment lange, sein Gesicht so ausdruckslos wie das des versehrten Porträtkopfes. Den Oberinspektor erinnert dies für einen absurden Moment an Hamlet und den Totenschädel. Das sind alles seine Schätze, denkt er. Nur Schramm allein weiß, was unter diesem Schutt noch alles verborgen liegt.
    Der Bankier hält seinen Fund in der Rechten, stützt sich mit der Linken auf den Gehstock, hinkt Richtung Eingang. Stave wartet, bis er jenseits der Außenmauer verschwunden ist, springt auf, eilt hinterher. Als er die Ruine verlässt, blickt er sich rasch um: Schramm ist auf der Reimersbrücke – eine große, dunkle Gestalt allein über dem trüben Wasser.
    Der Kripo-Beamte denkt fiebernd nach. Keine Deckung. Wo wird Schramm hingehen? Wenn er ihm jetzt hinterherläuft, dann wird er ihn spätestens auf der Brücke bemerken. Er unterdrückt einen Fluch und wartet. Schramm ist jetzt am Ende der Reimersbrücke, steigt mühsam zwischen Trümmern zur Kirchenruine Sankt Nikolai hoch. Sein Schatten hinter dem Maßwerk eines zerstörten Fensters, zwischen Mauerresten und den Stümpfen weggesprengter Pfeiler. Dann ist er verschwunden.
    Stave sprintet los, so schnell es ihm sein linkes Fußgelenk erlaubt. Die Brücke. Die Trümmer am anderen Ufer. Das
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