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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt
Autoren: Katherine McLean
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der Rolltreppe runterfuhren, erzählte sie mir, daß sie jetzt alle Preise um das Zehnfache angehoben hätten, um mit Mr. Duggan, dem Zahnarzt, gleichzuziehen, der auch seine Preise erhöht hatte. Geleitet wurde das Spiel von Mr. Kracken, einem Volkswirtschaftler, der früher dem Präsidenten als Berater gedient hatte.
    „Mr. Kracken ist ein Haifisch“, sagte Mrs. Johnson. „Und beim Poker kann ihm niemand das Wasser reichen. Er ist unser Geschäftsführer. Dieser Zahnarzt wird heute sein blaues Wunder erleben! Er wird eine Mahlzeit von Muttern bekommen, die ihn tausend Dollar kostet!“
    Ich nickte nur, denn sprechen konnte ich nicht. Die Orangenglasur war kaum fünfzehn Zentimeter von meinem Mund entfernt, als ich den Kuchen trug, und ich mußte den Mund geschlossen halten, um dem Verlangen zu widerstehen, einfach hineinzubeißen. Meine Knie waren weich; ich stellte den Kuchen auf die Theke des Gebäckstandes. „Muß gehen.“ Schnell haute ich ab und lehnte mich draußen gegen die Wand. Ich zitterte und hatte schwarze Flecke vor den Augen.
    Über dem grünen Mittelstreifen fuhr auf einem Luftteppich langsam ein Touristenbus vorbei und schreckte einen Schwärm kleiner gelber Schmetterlinge auf.
    Ich machte mich schnell auf den Weg zur Oberstadt und probierte dabei alle Snack-Automaten aus. Keiner rückte jedoch etwas heraus. Ich spielte mit dem Gedanken, den Leuten zu sagen, daß ich hungrig sei. Ich sah mir die Gebäude und den dunklen Himmel an, um mich vom Essen abzulenken. Alles wurde dunkler und nebelhafter. Das Sonnenlicht war weg. Die Leute, die vorübergingen, sahen miserabel aus. Die guten Vibrationen des Morgens waren verschwunden.
    Ich blieb am Arbeitsamt stehen und steckte meine Karte in den Informationsschlitz. Nichts kam heraus. Keine Arbeitsbenachrichtigung. Keine Arbeit.
    Freunde, die sich mit Zen und Yoga auskannten, hatten mir erzählt, daß ein Mensch dreißig Tage lang ohne Nahrung auskommen kann. Sie hatten mir gezeigt, wie das geht. Das Dumme ist nur, daß man dann ständig zittert. Wenn ich eine Hauswand anfaßte, hatte ich das Gefühl, die ganze Welt würde zittern. Um Hilfe konnte ich nicht bitten. Ich fühlte mich wie jemand, der in einer Falle sitzt und den niemand hören kann. Man bettelt nicht.
    Wenn ich den Leuten vom Arbeitsamt erzählte, daß meine Schülerbeihilfe nicht mehr kam, wenn ich ihnen sagte, daß ich Geld brauchte, würden sie mir eine Erwachsenenunterstützung und eine Fahrkarte geben, damit ich New York verließ und nie wieder zurückkam.
    Ahmed der Araber kam die Straße hinunter. Er ging sehr schnell, mit wippenden Schritten. Als wir klein waren, war er der König unseres Blocks, und manchmal hat er mich gefragt, ob ich ihm nicht helfen könne. In diesem Jahr hatte Ahmed einen Job bei der Rettungsbrigade. Vielleicht würde er mich ihm helfen lassen. Vielleicht konnte er mir einen Job verschaffen. Ich hatte ihn immer gut leiden können.
    Als er näher kam, winkte ich ihm zu. „Ahmed.“
    Er ging weiter, war in Eile. „Na schön, George, komm weiter.“
    Ich nahm seinen Schritt auf. „Was bist du so eilig?“
    „Schau dir die Wolken an, Mensch. Irgendwas wird passieren. Das müssen wir verhindern.“
    Ich sah mir die Wolken an und hatte das Gefühl, daß sie den ganzen Himmel bedeckten. Gefährlich aussehende, dunkle Schmutzwolken hatten sich über die Stadt gelegt. Sie sahen aus, als würden sie jeden Moment auseinanderplatzen und Feuer und Dreck versprühen. Im Psychologieunterricht auf der High School hatten sie gesagt, daß Menschen die Dinge immer so sehen, wie sie ihrer Stimmung entsprechen. Daß meine Stimmung nicht die beste war, wußte ich, aber ich wußte immer noch nicht, wie der Himmel wirklich aussah. Dunkel war er ja, aber vielleicht trotzdem harmlos.
    „Was ist das?“ fragte ich. „Ist es Smog?“
    Ahmed blieb stehen und sah mir ins Gesicht. „Nein. Es ist Angst.“ Er hatte recht. Die Angst lag wie ein Nebel in der Luft. Es war Angst in den bedrohlichen Wolken und in der Finsternis auf den Gesichtern der Leute. Die Menschen eilten gebückt unter dem schweren Himmel dahin, als würde ein kalter Regen fallen. Die Gebäude über uns schienen sich auszudehnen.
    Ich schloß die Augen, aber das änderte nichts.
    Im vergangenen Jahr, als Ahmed und ich für die Rettungsbrigade gelernt hatten, hatte er ein Schulungsbuch geöffnet und mir etwas über den Unterschied zwischen der inneren und äußeren Realität begreiflich zu machen versucht – und wie
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