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Der Esper und die Stadt

Der Esper und die Stadt

Titel: Der Esper und die Stadt
Autoren: Katherine McLean
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Menschen in Panik geraten, wenn sie allesamt den gleichen Eindruck haben. Ich öffnete die Augen und studierte die Menschen, die auf mich zukamen, an mir vorbeigingen und von mir weg eilten. Ich sah sie als sich bewegende Menschenmassen. Die Leute in New York haben es immer eilig. Sahen sie alle die sich neigenden Gebäude, die den Anschein erweckten, als würden sie gleich umkippen? Hatten sie alle Angst, darüber zu reden?
    „Ahmed, du Rettungsbrigadenspitzel“, sagte ich. „was würde passieren, wenn wir jetzt mit aller Kraft ‚Erdbeben’ riefen? Käme es dann zu einer Panik?“
    „Höchstwahrscheinlich.“ Ahmed musterte mich interessiert. Sein schlankes Gesicht und seine schwarzen Augen wirkten gespannt. „Wie fühlst du dich, George? Du siehst krank aus.“
    „Ich fühle mich lausig. Mit meinem Kopf stimmt was nicht. Mir ist schwindlig.“ Reden machte es nur noch schlimmer. Ich lehnte mich gegen eine Hauswand. Die Wand bebte, und ich hatte das Gefühl, flach auf dem Boden zu liegen, obwohl ich auf den Beinen stand.
    „Was, zum Kuckuck, ist nur mit mir los?“ fragte ich. „Man kann doch nicht so krank werden, wenn man ein paar Mahlzeiten ausläßt, oder?“ Schon das Erwähnen von etwas Eßbarem führte dazu, daß sich mein Magen seltsam hohl und ausgetrocknet anfühlte. Plötzlich dachte ich an den Tod. „Ich habe nicht mal Hunger“, sagte ich zu Ahmed. „Bin ich wirklich krank?“
    Ahmed war einer von denen, die auf alles eine Antwort haben.
    „Mann, du bist einfach ein guter Empfänger.“ Er musterte mein Gesicht. „Irgend jemand hier in der Gegend hat Schwierigkeiten, und du fängst es auf.“ Er sah von Osten nach Westen und studierte den Himmel. „In welcher Richtung ist es am schlimmsten? Wir müssen ihn schnellstens finden.“
    Ich sah die Fifth Avenue hinauf. Die gewaltigen, gläsernen Bürokästen leuchteten und glitzerten unsicher. Dunkelgrüne Wolken brachen sich auf ihrem Grau, als würden sie von dort aus zum Himmel aufsteigen. Ich warf einen Blick auf die 42. Straße und die großen Bögen des Transportzentrums. Ich sah die Fifth Avenue hinunter, an den steinernen Löwen der Bibliothek vorbei und dann nach Westen, wo die Neonlichter Amüsement versprachen. Die Dunkelheit kam wie mit Zähnen auf mich zu, wie ein riesiger Schlund. Schwer zu beschreiben.
    „Mann, es ist schlimm.“ Ich schlotterte. „Es kommt aus allen Richtungen. Aus der ganzen Stadt!“
    „Das kann nicht sein“, sagte Ahmed. „Es ist laut. Wir müssen ganz in der Nähe des Opfers sein.“
    Er führte sein Armbandfunkgerät an den Mund und drückte den Signalknopf.
    „Statistik bitte.“
    Eine Stimme erwiderte: „Statistik.“
    Ahmed sagte langsam: „Dies ist ein Notruf. Hier spricht Rettungsbrigadier vierundfünfzig B. Geben Sie mir die heutigen Krankenhausaufnahmen, alle Zunahmen über Sigma entsprechend dreißig. Einkreisen die Zentren aller Gebiete mit einem scharfen Anstieg …“ – er sah mich durchdringend an – „… von Schwindelanfällen, Erschöpfungserscheinungen und akuten Depressionen.“ Wieder musterte er mich. „Überprüfen Sie allgemeine Angstzustände und Hypochondrie.“ Dann wartete er darauf, daß die Statistikabteilung die entsprechenden Daten zusammenstellte.
    Ich fragte mich, ob ich nun stolz sein oder mich darüber schämen sollte, daß ich mich krank fühlte.
    Ahmed wartete. Er war schlank, tüchtig, ungeduldig und hatte schwarze Augenbrauen und ebensolche, dazu durchdringende Augen. Er sah beinahe aus wie damals, als er zehn und ich neun gewesen war. Seine Eltern waren Emigranten, sprachen irgendeine nichtamerikanische Sprache. Sie gehörten der stolzen Sorte an. Wenn andere vor Haß oder Liebe in einem Kampf oder um eine Freundschaft erglühten, konnten Ahmed nur Ideen in Brand versetzen. Und seine Einfalle beim Spielen hatten ihn zum König unserer Straßenbande gemacht. Er hatte uns in die tollsten Abenteuer geführt und in Gegenden gebracht, die nur Erwachsenen zugänglich waren, damit wir was zu sehen bekamen, und wenn wir in der Falle saßen, brachte er uns entweder mit schnellen Schritten aus ihr heraus oder legte die Erwachsenen mit Worten herein. Und ich entschied, ob ein Ort gut oder schlecht war. Wo es ungut aussah, gingen wir nicht hin. Wenn Ahmed mich zu Rate zog und mich fragte, wie der oder der Ort auf mich wirkte, war ich immer stolz gewesen.
    Und dann war er an uns vorbeigestürmt. Wir flogen alle aus der High School, aber Ahmed bekam gute Noten,
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